Selten hat man die Gelegenheit, über Jahre Selbsterlebtes später in einem qualifizierten Buch nachlesen zu können. Da hat das Lesen eine ganz andere Qualität, man vergleicht das Geschriebene mit den eigenen Erinnerungen, längst Vergessenes kommt wieder zum Vorschein und es treten verschiedene Effekte ein:
Manches erscheint mit dem Überblick des Autors über das gesamte Geschehen aller Mitwirkenden in einem anderen und sachlicheren Licht. Manch neue Information überrascht ungemein und man wünscht sich, man hätte sie damals schon gehabt, vielleicht wäre der Gang der Dinge dann ein anderer geworden. Manches Selbsterlebte scheint vom Autor vielleicht nicht berücksichtigt, und schlimmstenfalls entdeckt man im Buch auch Falsches.
Solch ein Buch ist für mich Werner Bräuningers „Kühnen – Ein deutsches Schicksal – Die Biographie“, im August 2024 in zweiter Auflage bei der Edition Sunmyra, einem Imprint des Sturmzeichen-Verlages, erschienen.
Der Neuanfang der Bewegung
Da Michael Kühnen eine zentrale und umstrittene Figur der Bewegung in den 70er- und 80er-Jahren war, stellt die Biographie die damaligen Ereignisse umfassend dar, denn ohne diese ausführlichen Darstellungen – manche sprechen auch von einer Geschichte der Bewegung in der damaligen Zeit – wäre Kühnens Lebensweg für sich allein kaum verständlich gewesen.
Genauer genommen beschreibt Bräuninger die Geschichte des Neuanfangs der Bewegung mit einer neuen Generation, am Ende der „langen Nacht“ nach 1945, wie man damals so sagte.
Als Kühnen 1976 aktiv wurde, war der Neuanfang schon gemacht: Bereits 1969 wurde Wolf-Dieter Eckarts „Bund Deutscher Nationalsozialisten“ verboten, 1972 gründete der deutschstämmige Amerikaner Gerhard Lauck die heute noch bestehende NSDAP/AO.
Zu Eckart und besonders zur AO hatte Kühnen engen Kontakt und gründete 1977 in Hamburg den „SA-Sturm 8. Mai“ innerhalb der AO als erste eigene Organisation.
Dieser gesamte Neuanfang wird im Buch ausführlich dargestellt und ist sehr interessant für jeden, der wissen will, wie alles begann.

Bildquelle: Archiv Simon Richter
Kühnens Konzeption
Im gleichen Jahr rief Kühnen die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ ins Leben und verfolgte nun einen streng legalen, offenen Weg mit der Forderung nach Aufhebung des NS-Verbots. Das war der eine Pfeiler seiner innovativen Strategie.
Der zweite Pfeiler seiner neuen Konzeption war die ständige Medienpräsenz durch Provokation. Er war davon überzeugt, dass der Weg zum Erfolg nur über die Medien führt und arbeitete ständig an neuen Medienauftritten. Bräuninger bezeichnet Kühnens mediale Präsenz als seine „Hauptwaffe“ und erläutert dazu: „In Zeiten, in denen allenfalls drei Fernsehprogramme und ansonsten lediglich das Radio oder Zeitungen als Informationsquelle zur Verfügung standen, brannten sich die Bilder von ihm und seiner aktionistischen Bewegung natürlich ein.“
Diese grundsätzliche Kombination von offener legaler Politik mit medialen Auftritten und Provokationen hat er bis zum Ende beibehalten.
Prozess, erste Haft und Wiederholung
Es kam, wie es kommen musste, und die vielen medialen Auftritte und Provokationen brachten so viele Strafverfahren ein, dass Kühnen schon 1978 in Haft genommen wurde. Bereits vorher war er als Leutnant aus der Bundeswehr entlassen worden.
Schon in diesem ersten Prozess nach dem Neuanfang versuchte die Justiz, Kühnen massiv zu kriminalisieren. Er wurde zusammen mit fünf anderen angeklagt, die eine Bundeswehrkaserne und eine niederländische Einheit auf einem Truppenübungsplatz überfallen und Waffen geraubt hatten, dazu kamen noch Überfälle auf eine Sparkasse und auf einen Geschäftsmann. Kühnen hatte mit den Taten nichts zu tun, trotzdem wurde er als Rädelsführer dieser terroristischen Vereinigung angeklagt. Nur der guten Verteidigung war es zu verdanken, dass Kühnen nur wegen Volksverhetzung, Rassenhass und NS-Werbung zu einer Strafe von vier Jahren verurteilt wurde.
Dieser Zyklus von anderthalb Jahren intensiver Aktionen und anschließenden vier Jahren Haft wiederholte sich nach seiner Haftentlassung, nur in größerem Stil: Die Freiheit nutzte er 1983 zum bundesweiten Zusammenschluss der ANS/NA, überzog Westdeutschland mit spektakulären Aktionen und ging dann nach Paris ins Exil, die Haft nach Auslieferung dauerte dann bis 1988 – alles in gut recherchierten Einzelheiten in Bräuningers Biographie spannend dargestellt.
Nach der zweiten Haftentlassung bis zu seinem Tod 1991 war er schon von der tödlichen Krankheit stark angeschlagen, aber trotzdem aktiv.

Selbsterlebtes und der Aufstand
Im Jahr 1980, vier Jahre nach Kühnens Einstieg, wurde ich auch aktiv und schloss mich der AO an. Da war Kühnen gerade zu vier Jahren und die anderen zu bis zu elf Jahren verurteilt worden – kein besonders schöner Anfang, aber wir hatten auf der einen Seite die westliche Dekadenz vor Augen und auf der anderen Seite stand damals die Rote Armee mitten in Deutschland.
Im Jahr 1983 wurde ich, wie so viele Kameraden in ganz Deutschland, im Sturm der Begeisterung in der neuen ANS/NA aktiv. Vor dem Zusammenschluss mit Kühnens ANS waren die Nationalen Aktivisten eigenständige örtliche Aktivistengruppen, tatsächlich Vorläufer der späteren Freien Kameradschaften, wie Bräuninger schreibt. Erst nach dem Zusammenschluss machte Kühnen daraus eine Kaderorganisation.
Nach guter Aufbauarbeit waren wir an Rhein und Ruhr eine der aktivsten und bestorganisierten Regionen, aber dann tauchten dunkle Wolken auf, die sich langsam zum reinigenden Gewitter entwickelten: Uns missfiel der ständige Bezug Kühnens und seines Stellvertreters auf Ernst Röhm, und sein engster Vertrauter im Pariser Exil gab nebenbei ein Schwulen-Magazin heraus. Langsam wurde uns bewusst, dass wir eine Clique von Schwulen an führenden Stellen der Bewegung sahen und schlugen los – der Aufstand, auch Putsch genannt, war ein schwerwiegender Eingriff, aber wohlüberlegt und von mir im Vorfeld auch mit Generalmajor Remer besprochen.
Bräuninger zitiert meine Beweggründe in seinem Buch: „Die Unterschiede wurden erst in den Jahren 1984-1986 deutlich, als uns klar wurde, dass es der Gegenseite um die Förderung der Homosexualität ging. Es ging nicht um Einzelne, es ging nicht ums Private, sondern es ging darum, dass es systematisch auf hoher Ebene gefördert wurde“, so zum Beispiel in Kühnens Broschüre „Nationalsozialismus und Homosexualität“, die ihm politisch das Genick brach. Eigentlich schade, er hatte bis dahin unbeschreiblich viel für die Bewegung getan und hatte dafür nach wie vor unsere Anerkennung.
Erst in Bräuningers Biographie habe ich Jahrzehnte später gelesen, dass unsere Vermutungen voll ins Schwarze trafen: „Noch erzürnter wären Mosler, Malcoci und Swierczek sicherlich gewesen, wenn sie damals auch nur geahnt hätten, dass Kühnen, ähnlich des Logenprinzips der Freimaurer, insgeheim eine homosexuelle ,Fraktionsbildung‘ innerhalb der Bewegung etablieren wollte, was historisch gesehen ohne jeden Zweifel auch auf den erbitterten Widerstand Adolf Hitlers gestoßen wäre.“

Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-2004-0330-500 – CC BY-SA 3.0
Neuerungen in der zweiten Auflage
Werner Bräuninger hat das Buch inhaltlich einer gründlichen Revision unterzogen und von zahlreichem Ballast befreit, zugleich aber auch an sehr vielen Stellen ergänzt und sachliche Fehler korrigiert. Von besonderem Wert war der Nachlass des Kühnen-Stellvertreters Thomas Brehl im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt, der bei der Erstauflage noch nicht zur Verfügung stand. Neu ist auch der eingearbeitete Briefwechsel zwischen dem ehemaligen Mitarbeiter von Dr. Goebbels, Willi Krämer, und Volker Heidel, einem der Anführer der illegalen SA in den 70ern in Norddeutschland, sowie die französischen Erinnerungen an Kühnens Pariser Exil im Jahr 1984.
Ein neu eingefügter 48-seitiger farbiger Bildteil zeigt 89 Fotos aus der damaligen Zeit, viele davon bisher unveröffentlicht.
Auch so manche lustige Einzelheit wurde neu eingefügt. Zum Beispiel war der Pressechef der ANS/NA Zaulich eng verbunden mit dem Verfasser der damals im STERN veröffentlichten gefälschten Hitler-Tagebücher Kujau, wie jüngst erst bekannt wurde. Nachdem der gigantische Tagebuch-Schwindel schon 1983 aufgeflogen war, behaupten Medien nun, dass die Fälschungen als gezielter Versuch, Hitler reinzuwaschen, dem Kujau von der ANS/NA eingeflüstert worden seien.
Den Geist von damals einatmen
Der Umfang der Biographie verdeutlicht mit über 400 Seiten im Großformat, davon 60 Seiten Anmerkungen und Erläuterungen, nur ansatzweise die Mühe, die sich Werner Bräuninger gemacht hat, Kühnens Leben in einer ungeheuer mühsamen Arbeit akribisch nachzuzeichnen.
So viele Zeitzeugen aufzufinden, wo ich bei vielen vermutet hätte, dass sie nach den ganzen Jahrzehnten nicht mehr greifbar wären, zusammen mit der riesigen Menge an ausgewerteten Schriftstücken und Briefwechseln, belegt zusätzlich die solide Grundlage und Detailgenauigkeit seiner Ausführungen und versetzt den Leser in die Lage, den Geist von damals geradezu einzuatmen.
Es erwarten Euch also spannende Geschichten und intensiv ausgearbeitete Fakten und Vorgänge der damaligen Bewegung, in einem hochwertigen und stabilen Festeinband mit gut lesbarem Schriftsatz.
Ob für an der Geschichte der Bewegung interessierte junge Leser, oder für alte Kämpfer, die ihre Erinnerungen am roten Faden des Buches entlang auffrischen, oder auch als fundierte und seriöse Grundlage für auch heute aufkommende Diskussionen – das Buch hat meine absolute Leseempfehlung.
Erstveröffentlichung in N.S. Heute #44
Naja, als ehem. Kamerad sehe ich die Einseitigkeit besser..