Die Angeklagten wurden in der Systempresse als „Mafia der nationalen Nachgeburt“ verunglimpft, das Gerichtsverfahren als das „Stammheim der Rechten“ bezeichnet – in Anlehnung an den Prozess gegen Mitglieder der linksextremen „Roten Armee Fraktion“ in Stuttgart-Stammheim. Vor 45 Jahren wurden im „Bückeburger Werwolf-Prozess“ erstmals in der Geschichte der BRD Nationalisten als Mitglieder einer „terroristischen Vereinigung“ verurteilt.
Es ist Donnerstag, der 13. September 1979. In einem zum Gerichtssaal umfunktionierten Raum in der JVA Bückeburg spricht der vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Celle, Helmut Moschüring, das Urteil in der „Strafsache gegen Kühnen und andere“. Fünf Angeklagte werden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung zu Freiheitsstrafen von sieben bis elf Jahren verurteilt. Der Hauptangeklagte und vermeintliche Rädelsführer der Gruppe, der ehemalige Bundeswehrleutnant Michael Kühnen, wird von jeglichen Vorwürfen der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten freigesprochen, erhält jedoch eine vierjährige Haftstrafe wegen verschiedener Propagandadelikte.
Doch wer sind überhaupt die Angeklagten in diesem ersten „Rechtsterrorismus“-Prozess in der Geschichte der Bundesrepublik – und um welche Taten geht es?
Die Angeklagten
Michael Kühnen
Der 24-jährige Michael Kühnen, dessen Beruf in der 277 Seiten umfassenden Urteilsschrift des OLG Celle mit „Journalist“ angegeben wird, gilt als Führungsfigur in der jungen neo-nationalsozialistischen Bewegung der Bundesrepublik. Im November 1977 hatte er mit der Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) die erste bundesweit agierende Organisation in der BRD ins Leben gerufen, die von jungen, größtenteils nach Kriegsende geborenen Nationalsozialisten geführt wird.
Lothar Schulte
Lothar Schulte, Jahrgang 1955, ist ein vom Dienst suspendierter, ehemaliger Stabsunteroffizier der Bundeswehr. Er hatte sich vorübergehend der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) angeschlossen und nahm Ende Oktober 1970 an der Gründung der „Aktion Widerstand“ in Würzburg teil.
Lutz „Butschie“ Wegener
Der jüngste Angeklagte ist der Fotokaufmann Lutz Wegener, Jahrgang 1957. Von 1974 bis 1977 war er JN-Mitglied. Wegener ist unter anderem wegen der Verwüstung der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen vorbestraft.
Uwe Rohwer
Der älteste der fünf Angeklagten ist Uwe Rohwer, Jahrgang 1937, von Beruf technischer Kaufmann und Vater von vier Kindern. Vor dem Prozess war er NPD-Kreisvorsitzender von Schleswig-Flensburg, bei der Wiking-Jugend war er zeitweise „Gauführer Nordmark“ und Bundeskassenführer. Auf seinem „Wiking-Hof“ in Doerpstedt (Schleswig-Holstein) hatte er nationalistisch gesinnte Jugendlager veranstaltet, bis der Hof 1976 durch einen kommunistischen Brandanschlag zerstört wurde.
Klaus-Dieter Puls
Klaus-Dieter-Puls, Jahrgang 1942, gelernter Schlosser und vor dem Prozess zuletzt als Staplerfahrer tätig, hatte bereits in der DDR jahrelang in Haft gegessen, unter anderem wegen „Staatsverleumdung“, „Republikflucht“ und wegen eines gescheiterten Ausbruchsversuches aus dem Gefängnis. Nach Verbüßung seiner Zeit in DDR-Gesinnungshaft wurde er in die BRD abgeschoben. Aufgrund seiner Erfahrungen mit dem „real existierenden Sozialismus“ fand er über seine antikommunistische Grundhaltung zum Nationalsozialismus.
Manfred Börm
Mit dem Hochbautechniker und Maurermeister Manfred Börm, Jahrgang 1950, schließt sich die Riege der Angeklagten. Börm, seinerzeit stellvertretender Gauführer der Wiking-Jugend, war durch seinen damaligen Freund Uwe Rohwer zu der Gruppe der Angeklagten hinzugestoßen.
Vorgeworfene Straftaten
Den Angeklagten wird vorgeworfen, als Teil einer „Wehrsportgruppe“ in den Jahren 1977-78 durch Überfälle auf Soldaten der Bundeswehr sowie in Deutschland stationierte NATO-Streitkräfte, einen Banküberfall und zwei Raubüberfälle auf Kölner Geschäftsleute eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben. Der Straftatbestand der „Bildung terroristischer Vereinigungen“ (129a StGB) war erst zwei Jahre vor Prozessbeginn im Zuge der Bekämpfung der „Roten Armee Fraktion“ ins Strafgesetzbuch eingeführt worden. In der Literatur wird die Gruppe seither als „Wehrsportgruppe Rohwer“ oder – in Anlehnung an die Partisanen-Aktionen der Hitlerjugend bei Kriegsende – als „Wehrsportgruppe Werwolf“ bezeichnet; offiziell hat die Gruppe diese Namen jedoch nie verwendet.
Wir beschränken uns an dieser Stelle auf die Wiedergabe der aufsehenerregendsten Aktionen der Gruppe, wie sie nach den Erkenntnissen der späteren Beweisaufnahme stattgefunden haben:
Überfall auf die Bundeswehrkaserne in Wentorf
Am 22. November 1977, morgens 2 Uhr, dringen Lothar Schulte und Lutz Wegener durch ein offenstehendes Erdgeschossfenster in das Gebäude der Bismarck-Kaserne in Wentorf bei Hamburg ein. Schulte, der bis zu seiner Suspendierung in der Kaserne gedient hatte, ist mit den Geländeverhältnissen bestens vertraut. Durch einen Waschraum gelangen sie in das Zimmer des schlafenden „Unteroffiziers vom Dienst“. Schulte weckt ihn mit den Worten: „Junge, für dich ist jetzt der Ernstfall eingetreten.“ Unter Gewaltanwendung wird der verängstigte Soldat gezwungen, den Waffenschrank aufzuschließen und ein Schnellfeuergewehr G3 herauszugeben.
Überfall auf den Kölner Bauunternehmer Reinartz
Am Abend des 2. Dezember 1977 klingelt Wegener an der Haustür des vermögenden Kölner Bauunternehmers Hans-Adolf Reinartz. Unter dem Vorwand, die Reifen seines Jaguars seien zerstochen worden, lockt Wegener den Bauunternehmer aus seiner Wohnung. Im Eingangsbereich des Hauses wird Reinartz von Schulte und Wegener festgehalten und zurück ins Haus gebracht, wo sie auf die Mitbewohnerin des Bauunternehmers treffen. Schulte bringt die beiden zu der Überzeugung, dass es sich um einen Überfall linksextremer Terroristen handelt, indem er sie als „Faschisten“ und „Kapitalistenschweine“ beschimpft. Die Täter erbeuten Waffen, Schmuck, Kleidung und Papiere der Opfer sowie mindestens 5.000 DM Bargeld. Nachdem sie Reinartz und seine Mitbewohnerin in einen Keller gesperrt haben, flüchten sie vom Tatort.
Überfall auf die Hamburger Sparkasse Am Volksdorfer Damm
Wenige Minuten vor Ende der Geschäftszeit um 16 Uhr betreten Schulte und Wegener am 19. Dezember 1977 die Sparkasse Am Volksdorfer Damm in Hamburg. Schulte hält mit einer Maschinenpistole die Kunden und Angestellten in Schach; Wegener springt, mit dem in Wentorf erbeuteten G3-Gewehr im Anschlag, über den Tresen und lässt sich vom Kassierer zunächst das Geld aus der Kasse und dann aus dem Tresor in einen Sack stopfen. Die Beute aus dem Überfall, der als „erster Bankraub einer rechtsradikalen terroristischen Vereinigung in der BRD“ (so Der SPIEGEL) in die Geschichte eingeht, beträgt knapp 66.000 DM. Klaus-Dieter Puls steuert nach dem Überfall den Fluchtwagen, Uwe Rohwer nimmt die Beute entgegen.
Überfall auf den NATO-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne
Die letzte und gleichwohl spektakulärste Aktion der Truppe ist der schwerbewaffnete Überfall auf den Biwakplatz „Landsberg“ auf dem NATO-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in der Nacht auf den 5. Februar 1978. Ausgerüstet mit Maschinenpistole, G3-Gewehr, Doppelflinte und weiterer Bewaffnung machen sich Schulte, Wegener, Rohwer, Puls und Manfred Börm auf den Weg zum NATO-Gelände, wo gerade eine niederländische Nachschubeinheit ihr Lager aufgeschlagen hat. Schulte, Puls und Börm dringen in das Wachzelt ein, wo sie von den beiden wachhabenden Soldaten zwei Maschinenpistolen Typ „Uzi“ und vier leere Magazine erbeuten. Auf einer freien Stelle zwischen den Schlafzelten treffen Schulte und Rohwer auf zwei weitere Soldaten, die sie ebenfalls um ihre MPs erleichtern. Die beiden Soldaten werden zu ihren Kameraden ins Wachzelt geführt, wo sich alle vier auf den Boden legen müssen und teilweise gefesselt werden.
Verhaftung und Anklage
Die Beteiligten können zunächst unerkannt entkommen, allerdings können die Ermittler wenig später anhand der Reifenspuren Rohwers Fahrzeug als das verwendete Fluchtauto identifizieren. So stellt sich im Zuge der Ermittlungen heraus, dass nicht etwa – wie zunächst allgemein angenommen – eine linksextreme Gruppierung nach dem ideologischen Vorbild der RAF für die Verbrechensserie verantwortlich ist, sondern eine kleine Gruppe militanter, mit Ausnahme von Rohwer noch sehr junger Nationalsozialisten. Zunächst werden am 25. Februar 1978 Schulte und Wegener verhaftet, im März folgen Rohwer, Börm und Puls. Rohwer verrät zur eigenen Schadensbegrenzung das Waffenversteck auf dem Hof des Bauern Carstens in Schleswig-Holstein, der am 11. April alle bei ihm versteckten Gegenstände der Polizei übergibt. Michael Kühnen, der an keinem der Überfälle beteiligt war, wird am 3. August in Untersuchungshaft genommen. Der Vorwurf lautet, Kühnen solle zusammen mit Schulte und Wegener Rädelsführer in einer terroristischen Vereinigung gewesen sein.
Turbulenter Prozessverlauf
Der Prozess gegen „Kühnen und andere“, wie es im Aushang des Gerichtsgebäudes lakonisch heißt, wird am 28. Mai 1979 vor dem Dritten Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle eröffnet. Aus Sicherheitsgründen findet der Prozess allerdings nicht im OLG-Gebäude statt, sondern in einem zum Gerichtssaal umfunktionierten Raum in der JVA Bückeburg. Das Gebiet rund um die JVA am Rande der 19.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Schaumburg gleicht in diesen Tagen einer Festung: Zufahrtsstraßen werden abgesperrt, zur Absicherung umstellt eine doppelte Polizeikette das Gebäude. Am Eingang finden Ausweiskontrollen und Leibesvisitationen statt, auch die zahlreich anwesenden Pressevertreter werden penibel durchsucht, Feuerzeuge müssen abgegeben werden.
Leiter der Verhandlung ist der vorsitzende Richter am OLG Celle Helmut Moschüring, als Chefankläger und Vertreter der Bundesanwaltschaft fungiert Dr. Hansjürgen Karge, der spätere Generalstaatsanwalt des Landes Berlin. Schon der erste Verhandlungstag beginnt mit einem Eklat: Der nationale Rechtsanwalt Peter Stöckicht, Verteidiger von Klaus-Dieter Puls, stellt gegen einen beisitzenden Richter mit SPD-Parteibuch einen Befangenheitsantrag. Begründung: Ein Richter, der einer Partei angehöre, „in der Landesverräter und Agenten wie Brandt und Wehner wirken“, könne „gegen Nationalsozialisten nicht objektiv Recht sprechen“. Die Systempresse tobt, der Befangenheitsantrag wird natürlich abgeschmettert.
Schulte und Wegener, die bei ihren polizeilichen Vernehmungen kurz nach ihrer Verhaftung umfangreiche Angaben gemacht hatten, halten ihre Aussagen während der Hauptverhandlung nur insoweit aufrecht, soweit es ihre eigene Täterschaft im Zusammenhang mit den angeklagten Taten betrifft. Christian Worch, als Gefolgsmann Michael Kühnens Zeuge im Bückeburger Prozess, bewertet auf Anfrage der N.S. Heute das damalige Aussageverhalten von Wegener und Schulte: „Lutz Wegener hat vollendeten Verrat begangen. Er hat bei der Polizei praktisch seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Ich würde mit ihm nichts zu tun haben wollen, absolut und hundertprozentig nichts. Die Aussagen von Lothar Schulte bewerte ich etwas anders, da er nur über die ihn selbst betreffenden Anklagepunkte ausgesagt hat. Hätte man Schulte wegen Verrats aus der Bewegung ausschließen wollen, hätte man Rohwer und Carstens ebenso ausschließen müssen, das war damals allerdings politisch nicht gewollt.“
Für viel Aufsehen sorgt am 23. August 1979 der Auftritt des als Entlastungszeugen für Kühnen aus Lincoln / Nebraska eingeflogenen Gerhard „Gary“ Lauck. Der Führer der NSDAP / AO („AO“ steht für „Auslands- und Aufbauorganisation“) wird in der BRD eigentlich wegen Einfuhr von NS-Propagandamaterial mit Haftbefehl gesucht, doch für seine Zeugenaussage wurde ihm von der Justiz freies Geleit gewährt. Nach einem effektvollen Auftritt vor dem JVA-Gebäude, als er in blauem Jackett und grauer Hose aus einer dunklen Limousine steigt, präsentiert er sich im Zeugenstand als „Wolf im Schafspelz“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht des Deutschlandfunks heißt.
Christian Worch erinnert sich gegenüber der N.S. Heute an seine eigene Zeugenaussage: „Bei meiner Zeugenaussage ging es weniger um den Waffenraub von Bergen-Hohne und die vorherigen Aktivitäten, sondern mehr um den Fall Kühnen. Lutz Wegener hatte über den SA-Sturm Hamburg 8. Mai ausgesagt. Er hatte seine Lebensgeschichte erzählt. Der Bundesanwalt Dr. Karge lud dazu alle Leute, die nach Wegeners Angaben Mitglieder dieses von Michael Kühnen angeblich gegründeten SA-Sturms waren. Darunter war auch ich. Ich war alphabetisch der letzte, der gehört wurde. Die anderen hatten vorher alle ausgesagt, sie wüssten von nichts. Ich machte das ein wenig pointierter. Als Dr. Karge mich frage: ‚Herr Worch, haben Sie jemals von einer Organisation namens SA-Sturm Hamburg 8. Mai gehört?‘ antwortete ich: ‚Ja.‘ – Daraufhin ging die Sonne auf. Dr. Karge glühte förmlich vor innerer Erregung. Endlich, endlich einer! Ganz vorsichtig, fast zaghaft, um die beinahe mystische Stimmung nicht zu zerstören, und um den seiner Meinung nach aussagewilligen Zeugen nicht zu verschrecken, fragte er: ‚Was können Sie uns denn darüber sagen?‘ Worauf ich antwortete: ‚Leider nicht viel. Ich habe Hamburger Zeitungen entnommen, dass es angeblich eine solche Organisation gegeben haben soll. Mehr weiß ich darüber auch nicht.‘ Daraufhin drehte Dr. Karge, der Mann in der roten Robe, richtig durch. Er brüllte wutentbrannt: ‚Herr Worch, Sie lügen uns hier an!‘ Und ich gab in gleicher Lautstärke zurück: ‚Herr Dr. Karge, ich verbitte mir das!‘ – Die Sache endete damit, dass das Gericht gegen mich ein Ordnungsgeld von 20 DM wegen Ungebühr vor Gericht verhängte. Ich kommentierte das mit den Worten: ‚Ich werde veranlassen, dass die Gerichtszahlstelle das Ordnungsgeld von der mir zustehenden Erstattung für die Anreise abzieht.‘
Während der 41 Verhandlungstage des Bückeburger Prozesses mit insgesamt 132 Zeugen, zwölf Gutachtern und 50 Aktenordnern Beweismaterial ist es immer wieder der vermeintliche Hauptangeklagte Michael Kühnen, der sich mit politischen Stellungnahmen in den Vordergrund des medialen Interesses rückt. Am 6. September gibt er beispielsweise folgende Erklärung ab: „Wir haben und wir werden nicht gegen Gesetze verstoßen. Ich bin kein Demokrat, das weiß jeder, der mich kennt. Aber eine Veränderung des Grundgesetzes in unserem Sinne werden wir erst in Großdeutschland vornehmen, wenn das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung über seine Zukunft entscheiden kann.“ Dr. Hermann Womelsdorf, der damalige Verteidiger von Michael Kühnen, blickt im Gespräch mit der N.S. Heute auf das Prozessverhalten seines Mandanten zurück: „Kühnen wollte ohne Rücksicht auf Verluste seine politischen Ansichten ausdrücken. Ich habe ihm geraten, sich zurückzuhalten, was er aber nicht getan hat. Eventuell hätte er dadurch ein halbes Jahr weniger gekriegt, vielleicht sogar Bewährung.“
Plädoyers und Urteilsverkündung
Im Zuge der umfangreichen Beweisaufnahme stellte sich heraus, dass Kühnen zwar mit den meisten seiner Mitangeklagten in regelmäßigem Kontakt stand und auch Kenntnis von einigen der angeklagten Taten hatte, jedoch hatte er hierbei keinerlei lenkende oder sonst wie unterstützende Funktion ausgeübt. In ihren Plädoyers versuchen die Vertreter der Anklage dennoch, Kühnen als „Rädelsführer“ der übrigen Angeklagten darzustellen. Verteidiger Dr. Womelsdorf fordert für seinen Mandanten Freispruch in allen Anklagepunkten, Kühnen selbst nutzt seine Schlussworte für eine zweistündige Ansprache, in der er ausführt, dass sich die Öffentlichkeit nun allmählich mit der Existenz einer neuen nationalsozialistischen Bewegung abfinde.
Am 13. September 1979 spricht der vorsitzende Richter Helmut Moschüring die Urteile. Michael Kühnen wird vom Vorwurf, Rädelsführer oder auch nur Mitglied einer terroristischen Vereinigung und Anstifter terroristischer Aktivitäten gewesen zu sein, freigesprochen. Allerdings wird er aufgrund einer ganzen Reihe von mitangeklagten Propagandadelikten, unter anderem wegen Verklebens von Plakaten mit Hakenkreuzmotiven, wegen Verbreitens der illegalen Zeitschrift „Der Sturm“ und wegen eines uniformierten Besuches auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Mit einer elfjährigen Haftstrafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung erhält Lothar Schulte die höchste Strafe. Uwe Rohwer und Klaus-Dieter Puls erhalten für dasselbe Delikt neun Jahre Freiheitsstrafe, Lutz Wegener wird zu acht Jahren Jugendstrafe verurteilt. Manfred Börm, der lediglich an dem Überfall auf den NATO-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne beteiligt war, bekommt sieben Jahre wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen (nicht terroristischen) Vereinigung. Damit beginnen für die Beteiligten die langen Jahre der Gefangenschaft, in denen sich ehemalige Kameraden miteinander überwerfen, mit Hungerstreiks, mit persönlichen und politischen Sinnkrisen – doch das ist ein anderes Kapitel und kann unter anderem in der Kühnen-Biographie von Werner Bräuninger nachgelesen werden.
„Rechtsterrorismus“ heute
Während der § 129a des Strafgesetzbuches in den späten 70er-Jahren gegen militante Systemgegner angewendet wurde, deren Aktivitäten man aus objektiver Sicht tatsächlich als „Terrorismus“ bezeichnen kann, ist der Paragraph mehr als vier Jahrzehnte später ein politisches Instrument der Herrschenden geworden, um in regelmäßigen Abständen das Schreckgespenst des „Rechtsterrorismus“ an die Wand zu malen – mit naiven Möchtegern-Revoluzzern, die in „geheimen“ Chatgruppen von nationalen Revolutionen phantasieren, als willkommene Bauernopfer im „Kampf gegen Rechts“.
Bleibt zum Schluss noch zu untersuchen, was eigentlich aus den damaligen Angeklagten wurde: Michael Kühnen blieb seinen nationalsozialistischen Überzeugungen treu und starb 1991 im Alter von nur 35 Jahren an einer Immunschwächekrankheit, Uwe Rohwer stürzte in den 80er-Jahren während der Reparatur seines Hausdaches in den Tod. Lutz Wegener wurde aufgrund seines schmählichen Verrats geächtet und aus der Bewegung ausgestoßen, die Spur von Klaus-Dieter Puls verliert sich in den späten 80er-Jahren. Lothar Schulte und Manfred Börm sind der Bewegung bis heute verbunden, letzterer als Landesvorsitzender der Partei Die Heimat (vormals NPD) in Niedersachsen.
Erstveröffentlichung in N.S. Heute #17; für die Wiederveröffentlichung geringfügig überarbeitet und aktualisiert
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