War-Zone Münster

Münster, 5. Juli 2025
Quelle: Dieter Riefling

Es ist an der Zeit, einem breiteren Publikum zu erklären, warum die einstige Stadt des Westfälischen Friedens (Frieden von Münster und Osnabrück) nun dabei ist, zur Frontstadt eines politischen Krieges um die Demonstrationsfreiheit zu werden, zu einer Art von „War-Zone“.

Um es zu verstehen, muss man weit zurückgehen, in eine Zeit, in der so mancher Leser noch nicht geboren war oder zumindest nicht das Wort „Demonstration“ buchstabieren konnte, geschweige denn, dass er oder sie jemals damit gerechnet hätte, einmal an einer teilzunehmen…

Ab den frühen 90er-Jahren wurden radikale rechte Demonstrationen zunehmend systematischer verboten. Um 1995 war es so weit, dass im Grunde genommen nix mehr ging, außer unangemeldete, vermeintlich spontane Aufzüge. Diese waren nicht nur zeitlich sehr beschränkt, sondern für die Teilnehmer auch mit einem unerwünschten juristischen Risiko verbunden.

Das war der Grund dafür, dass es ab 1997 ein strategisches Bündnis mit der alten NPD gab, also jener Partei, die heute den Namen „Die Heimat“ trägt. Als Partei war sie ein relativ verbotssicherer Demo-Anmelder, und wo es ihr an manpower mangelte, sprangen rechtsautonome Gruppe oder freie Kameradschaften gern ein.

Das Bündnis endete im Sommer 2000, als die damalige NPD sich infolge der Verbotsdiskusson selbst ein Demonstrationsverbot auferlegte, um ein möglichst geringes Profil zu bieten.

Zu dem Zeitpunkt aber lag bereits in der Luft, dass auch parteifreie radikale Gruppen sich vor Gericht – vor allem vor dem Verfassungsgericht – ein eigenständiges Demonstrationsrecht würden erkämpfen können. Zufällig fiel es an mich, das bahnbrechende Verfahren zu führen und zu gewinnen. Ein Grund, stolz zu sein (was ich auch bin), aber, um ehrlich zu sein: In der damaligen Situation hätte jeder auch nur halbwegs vernünftige Jurist das gleiche Ergebnis erzielen können.

Schon vor diesem damals bahnbrechenden Beschluss vom August 2000 hatte der seinerzeit führende Jurist Prof. Bull im Auftrag der schleswig-holsteinischen Landesregierung ein Gutachten verfasst. Die Landesregierung hielt es aus gutem Grund geheim…. (Ich selbst erfuhr davon erst nach dem August 2000.) Bulls Einschätzung: Man werde auf Dauer radikal rechte oder neonazistische Demonstrationen nicht vollständig unterbinden können; alles, was man machen könne, sei, sie durch Auflagen so weit wie möglich einzuschränken.

In den folgenden Jahren gab es einen regelrechten Kleinkrieg zwischen uns einerseits und verschiedenen Versammlungsbehörden andererseits. Es ging um immer spitzfindigere und schikanösere Auflagen. Gegen beispielswseise das Verbot der Parole „Hier marschiert der nationale Widerstand“ musste sieben lange Jahre geklagt werden, bis es durch eine Verfassungsbeschwerde dann endlich gekippt werden konnte. Auch der Kampf um die Verwendung schwarzer Fahnen – ein vor allem unter freien Nationalisten sehr beliebtes Emblem – zog sich über Jahre hinweg und beschäftige eine Vielzahl von Gerichten.

Schließlich siegten wir in den allermeisten Fällen durch unsere Hartnäckigkeit. Es spielte sich eine Art von Gleichgewicht ein, auch wenn viele Behörden das nur zähneknirschend oder eben durch gerichtliche Nachhilfe akzeptieren konnten.

Dann trat zum 1. September 2006 – jetzt auch rund neunzehn Jahre her! – die Föderalismusreform in Kraft.

Infolge dieser Reform fiel die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht vom Bund an die Länder. Statt eines Bundesgesetztes, das für alle sechzehn Bundesländer einheitlich gilt, konnte sich jetzt jedes Bundesland sein eigenes Versammlungsgesetz zusammenschustern. Eine lästige Sache für Rechtsanwender, die überregional operieren; sich in jedem Einzelfall auf ein möglicherweise geringfügig abweichendes Gesetz einstellen zu müssen.

Tatsächlich haben sich mit Stand von Sommer letzten Jahres acht Länder ein eigenes Gesetz dieser Art gegeben. Die Bayern sind dabei, wie man es im tiefen Süden der Republik gern mal tut, deutlich über das Ziel hinausgeschossen; Teile ihres neuen Gesetzes hat dann das Bundesverfassungsgericht sogar im Eilverfahren gekippt.

Zu den Ländern, die sich nicht mit dem bewährten und altgedienten Bundesgesetz begnügen wollten (das so lange gilt, bis das Land sich ein eigenes gibt), gehört Nordrhein-Westfalen. Es gilt seit Dezember 2021, also seit jetzt etwas über dreieinhalb Jahren. Es hat eine Besonderheit, die in dieser Form in keinem anderen Versammlungsgesetz steht. § 18 Abs. 1 sagt nämlich:

„Es ist verboten, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder eine sonstige öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel zu veranstalten, zu leiten oder an ihr teilzunehmen, wenn diese infolge des äußeren Erscheinungsbildes

  1. durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken oder
  2. durch ein paramilitärisches Auftreten
    Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt.“

Das ist ein äußerst schlampig gemachter Paragraph. Er enthält nämlich unbestimmte Formulierungen. Nach dem Rechtsstaatprinzip darf ein Gesetz nur so formuliert sein, dass es für jedermann klar verständlich ist. Logisch, denn wie will man vom Bürger sonst erwarten, dass er sich an das Gesetz hält?!

Der Punkt 1 ist durchaus verständlich. Man darf von jedem erwarten, dass er eine klare Vorstellung hat, was eine Uniform oder ein Uniformteil ist, und auch was als „uniformähnlich“ gelten darf, ist nicht wirklich interpretationsfähig.

Punkt 2 hingegen lässt eine Vielzahl von Interpretationen zu und öffnet damit der Willkür Tür und Tor.

Auch die Vermittlung von Gewaltbereitschaft, die einschüchternd wirkt, ist höchst interprationsfähig. Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Es ist mehr als fünfzehn Jahre her, dass ich mal jemandem eine Ohrfeige gegeben habe; und das war sogar ein eigener Kamerad, der befehlswidrig einen Stein auf Gegendemonstranten zurückgeworfen hat… Aber ich widerspreche nicht, wenn jemand mich gewaltbereit nennt. Denn wenn ich körperlich angegriffen werde, werde ich mich angemessen wehren. (Vielleicht hat mich deshalb so lange niemand mehr körperlich angegriffen?!) Einschüchternd kann das allenfalls auf jemanden wirken, der mich rechtswidrig angreifen will. Notwehr und auch Nothilfe (zugunsten angegriffener Dritter) ist grundsätzlich zulässig, egal, welchen Blödsinn das Versammlungsgesetz des Landes NRW verzapft. Diese Rechte ergeben sich nämlich aus Bundesrecht, und Bundesrecht bricht bekanntlich Landesrecht.

Nachdem nun also vor dreieinhalb Jahren dieses Gesetz mit seinem laienhaft zusammengestümperten § 18 in Kraft getreten war, habe ich die ganze Zeit damit gerechnet, dass es irgendwann mal als Repressionsinstrument gegen uns zur Anwendung kommen würde.

Das hat ganz schön lange gedauert. Vielleicht brauchte der „Tiefe Staat“ mit seinem Sicherheitsapparat erst einmal Zeit, sich auf diese Möglichkeit vorzubereiten, seine tatsächlichen oder vermeintlichen Optionen durchzuspielen. Vielleicht hätte man es gern mal in Dortmund gemacht, aber Dortmund hat für diesen Apparat den Nachteil, dass die radikal rechte Szene vor Ort sehr stark ist und in ihrer eigenen Stadt naturgemäß am besten mobilisieren kann.

Also war es erst am 5. Juli so weit, und zwar in Münster. In jener Stadt, von der so mancher Westfale spöttelnd sagt: „Ja, in Münster ist es finster!“

Ich brauchte dem „Abschnittsleiter Zugbegleitung“ (also dem ranghöchsten Polizisten vor Ort) nur fünf Minuten zuzuhören, und ich wusste genau, was passieren würde. Nicht etwa, weil ich als Hellseher auf dem Jahrmarkt Geld verdienen könnte. Da wäre ich eine krasse Niete. Sondern, weil vermutlich niemand in diesem Land in Organisation und Durchführung beziehungsweise Leitung von Demonstrationen so viel Erfahrung hat wie ich. Und mit den rechtlichen Grundlagen kennen sich auch höchstens einige wenige Dutzend Menschen ähnlich gut aus wie ich; ein paar Verfassungsrichter und Universitätsprofessoren, und das war es dann wohl schon auch.

Also kam es so: Der Zug wurde ungefähr auf der Hälfte der Wegstrecke für drei Stunden aufgehalten. Die erste Stunde völlig ohne jede Begründung, trotz mehrfacher Nachfrage des Versammlungsleiters Sascha Krolzig. Und dann, um eine „Polizeiliche Maßnahme“ durchzuführen, nämlich die Personalien der Träger der schwarz-weiß-roten Fahnen festzustellen, weil diese angeblich dem Zug ein „paramilitärisches Auftreten“ verliehen hätten, noch mal zwei Stunden.

Münster, 19. Juli 2025
Quelle: Blickpunkt TV

Es war klar, dass es relativ kurzfristig eine Anschlussdemonstration geben würde. Repression dient drei verschiedenen Zwecken. Erstens soll sie den Medien „Munition“ liefern, zu behaupten, der Staat tue doch alles gegen die „bösen Nazis“, was er nur kann. Zweitens soll sie Teilnehmer abschrecken. Und drittens dient es manchmal dem Zweck, bestimmte Orte für uns unattraktiv zu machen in der Hoffnung, dass wir dann auf andere ausweichen, wo wir es tatsächlich oder wenigstens vermeintlich leichter haben. Man nennt das „Vergärmungstaktik“, und üblicherweise wird sie angewandt, um Wildtiere von bebauten Feldern oder von Schafherden und dergleichen fernzuhalten, um Schäden zu vermeiden.

Nur sind wir keine Wildtiere, obwohl die meisten von uns den Wolf oder die wilde Sau wahrscheinlich sympathisch finden. Sympathischer jedenfalls, als der durchschnittliche Schäfer oder Bauer….

Und anders als einem Tier, das nicht abstrakt denken kann, ist uns klar: Lassen wir uns Ort A nehmen, wird man als nächstes versuchen, uns Ort B zu nehmen und dann Ort C und so weiter, bis letztlich für uns überhaupt kein Ort mehr bleibt. Das ist das politisch-strategische Ziel.

Also ist umgekehrt – von unserer Seite her – natürlich die Strategie, Ort A auch dann zu halten, wenn es schwierig und aufwendig ist. Denn wird A gehalten, entfallen sowieso schon mal die Angriffe auf B, C und so weiter.

Zwei Wochen später war es dann soweit. Dass wir nur noch ungefähr zwei Drittel der Teilnehmer der ersten Demonstration waren, ist sehr erklärlich. Viele, die am 5. Juli dabei gewesen waren, hatten zwei Wochen später keine Zeit mehr. Gerade im Sommer sind bei vielen die Wochenenden länger als zwei Wochen im Voraus verplant. Und neu hinzugestoßene Kameradinnen und Kameraden, die beim ersten Anlauf nicht dabei gewesen waren, konnten die Lücken natürlich nur teilweise füllen.

Erfreulich war zu sehen, dass die Zahl der Gegendemonstranten sich proportional noch mehr verringert hat als unsere Zahl. Wir haben in so mancher Stadt schon die linke Szene förmlich „kaputtdemonstriert“. Das ist ein erwünschter Nebeneffekt einer Kette von Demonstrationen am gleichen Ort.

Natürlich bestand unsere Reaktion nicht allein aus der Vorbereitung dieser neuerlichen Demonstration. In der Woche davor habe allein ich zwei Eilanträge und zwei Klagen an das örtliche Verwaltungsgericht geschickt, und weitere werden folgen. Sascha Krolzig hat eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben, mit der die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes vom 5. Juli festgestellt werden soll. Eine Strafanzeige wegen Versammlungsstörung ist in Vorbereitung.

Es ist im Vorfeld im Kameradenkreis spekuliert worden, ob sie es neuerlich mit so viel Schikanen versuchen wie überhaupt nur möglich. Ich wusste, dass sie es tun würden. Es ist die US-amerikanische Militärdoktrin: „You’re in it, win it!“ Kenne ich genausogut wie die.

Demonstrationsfreiheit ist den Machthabern immer unangenehm. Wir haben das, wie dargelegt, in der ersten Hälfte der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts gesehen. Wir haben das in Corona-Zeiten gesehen, wo man sogar das Infektionsschutzgesetz bemüht hat, um das Zusammenkommen protestierender, gar aufbegehrender Volksmassen zu verhindern. Und jetzt haben wir es – zumindest derzeit auf der Ebene des bevölkerungsreichsten Bundeslandes – ebenfalls wieder damit zu tun.

Also besinnen wir uns auf unsere Tugenden der Zähigkeit und der Hartnäckigkeit. Auf unsere Parolen:

Wi – der – stand – lässt sich nicht verbieten!

Kein Verbot stoppt Schwarz-Weiß-Rot!

Und speziell für Münster: Wenn ihr die Stadt zu einer Art „battlefield“ im politischen Kampf um Demonstrations- und Meinungsfreiheit machen wollt, bitte schön, dann gilt:

WIR KOMMEN WIEDER!

1 Gedanke zu „War-Zone Münster“

  1. Münster ist zwar kein absolutes Drecksloch, wie einige Städte im Ruhrgebiet oder Berlin, aber es ist doch ziemlich links-grün versifft. Böse Zungen behaupten sogar, dass es eigentlich eine als Stadt verkleidete Tempo-30-Zone ist.
    Mich würde interessieren, ob da bei Euch auch Kameraden mitdemonstrieren, die auch aus Münster kommen.
    VG
    Bernaldo_Rotti

    Antworten

Schreibe einen Kommentar