Altrechts, Neurechts, Altneurechts – Wenn Greise zanken

Der Mensch findet gerne etwas blöd, oft einhergehend mit der Verkennung von Ursache und Wirkung. Sei es „Nie wieder!“, Empörung über steigende Gewalt gegen Homosexuelle, mehr Überschwemmungen, der Kater nach dem Besäufnis oder warum es in Deutschland eine „Neue Rechte“ braucht, wenn man doch den NW beziehungsweise dessen Vorläufer und Nachfolger hat.

Bei all diesen Fragen hat man, je nach Interesse oder Meinung zu den Themen, einen für sich plausiblen wie bequemen Grund zur Hand: sei es der Klimawandel, Freimaurer, Juden, ein im Geheimen von Nazis unterwanderter Staat – der Sündenböcke gibt es viele, der Einsichten keine.

Uns soll heute letztere Frage interessieren. Ist es ein sinistrer Zusammenschluss, um Personal vom NW abzuziehen? Ewiggestrige Konservative, die nicht begriffen haben, dass der Weisheit letzter Schluss in den 1920ern in Stein gemeißelt wurde? Oder gar ein perfider Versuch der Franzosen, um die deutsche Rechte zu spalten und zu schwächen? Gratulation jenen, die diese Gründe auf neudeutsch „kernbehindert“ finden. All das und noch mehr geisterte seit dem Aufkommen der IB in Deutschland, spätestens seit ihrer Distanzierung vom NW, munter durch die Kommentarspalten des Internets; in den letzten Jahren dankenswerterweise deutlich weniger. Ob es an Einsicht, der abnehmenden Relevanz der IB oder den persönlichen Kontakten und Verschmelzungen zwischen Alt- und Neurechten liegt, bleibt offen.

Die Antwort auf die oben gestellte Frage ist natürlich weniger dramatisch: Als die NPD 1969 den Einzug in den Bundestag knapp verpasste, wurde es in der deutschen Rechten lebendig. Den Grund fanden einige im bürgerlichen Kurs der Partei, der nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) als Garant für Anschlussfähigkeit im Volk und Schutz vor einem Verbot gesehen wurde. Davon wollte die Jugend wenig wissen und so suchte man den Ausweg im radikalen Auftreten und aggressiven Propagieren der Positionen.

Die in der Tradition des NS stehenden Gruppen fanden sich kurzzeitig in der „Aktion Widerstand“ (AW) zusammen, welche jedoch nach kaum einjährigem Bestehen wegen zahlreichen Schlägereien mit dem politischen Feind und Parolen wie „Deutsches Land wird nicht verschenkt – eher wird der Brandt gehängt“ den Rückhalt der NPD verlor.

Die AW zerfiel in viele kleinere Gruppen, eine davon sollte die 1972 von Siegfried Pöhlmann gegründete „Aktion Neue Rechte“ (ANR) sein, die sich primär aus Teilen der NPD und JN speiste. Der ANR schlossen sich mehrere Gruppen der radikalen Rechten an, so unter anderem die strasseristische „Unabhängige Arbeiter-Partei“, verschiedene nationalrevolutionäre Gruppen um das Magazin „Junges Forum“ und die von Friedhelm Busse gegründete „Volkssozialistische Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit“.

In vielen Fällen wird es schon schwierig, wenn weltanschaulich homogene Rechte sich zusammentun, und der Leser wird ahnen, wie der Zusammenschluss dieser weltanschaulich durchaus verschiedenen Gruppen endete. Schon 1974 zerfiel das Bündnis aus Nationalkonservativen, Nationalrevolutionären, Hitleristen und Strasseristen. Die Nationalrevolutionären/Neurechten spalteten sich im Laufe der Jahre in weitere Gruppen auf und betrieben rege Publikationsarbeit in eigenen Magazinen wie dem Jungen Forum, aber auch in Zeitschriften wie „Nation Europa“ und dem „Deutschen Studenten-Anzeiger“, der wiederum dem „Nationaldemokratischen Hochschulbund“ (NHB) nahestand. Sowohl in der damaligen wie der heutigen Neuen Rechten ist es interessant zu sehen, wie viele junge Leute vorher Teil der NPD/JN waren und der Partei nebst Jugendorganisation mangels zukunftsweisender Antworten später den Rücken kehrten.

So fortschrittlich die Ziele der NR auch waren: ihr Einfluss innerhalb der Rechten war ebenso marginal. Zu viele der AR weigerten sich, alte Zöpfe wie Thron und Altar oder den ausschließlich vergangenheitsbezogenen Hitlerismus abzuschneiden. Ganz zu schweigen von den Ideen eines europäischen Großraumgedankens, den man unter anderem von Alain de Benoist, Jean Thiriart, Oswald Mosley oder Pierre Drieu la Rochelle, aber auch aus dem Umfeld der Nation Europa übernahm. Man verblieb in intellektuellen Kleinstgruppen, die sich immer wieder aufspalteten; der Bezug zu anderen Rechten und dem Volk baute mehr und mehr ab.

 

Alte neue Rechte contra Neue Rechte

Wer Artikel und Bücher von Alain de Benoist, Dominique Venner, Henning Eichberg und Sigrid Hunke liest, wird schnell feststellen, dass Neurechte damals nicht so zahm waren wie heute der Kreis um Martin Sellner oder der aktuellen IB-Leitung. Die „Alte neue Rechte“ bestand aus radikalen Nationalrevolutionären. Themen wie Rasse, Antiamerikanismus, Antikapitalismus, Sozialismus, Ablehnung des Christentums und Europäischer Nationalismus statt Staatsnationalismus fanden noch ihren Platz und boten gleichzeitig einige gemeinsame Nenner oder zumindest ein gegenseitiges Verstehen in Debatten mit der „Alten Rechten“, die, zumindest im „eurofaschistischen“ Umfeld um Teile der Zeitschrift „Nation Europa“ und ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, einen (mittel)europäischen Großraum als „dritten Weg“ zwischen Ost und West befürworteten.

Die Überwindung des historischen NS erfolgte nicht aus linker Hysterie, sondern mit der simplen wie unwiderlegbaren Einsicht, dass etwas Totes nicht in der gleichen Form zurückkehrt. Trotz aller Kritik wurden einige Leistungen der damaligen Zeit sehr wohl anerkannt (siehe etwa „Junge Kritik 1 – Nationalismus Heute“), bis hin zu revisionistischen Tönen („Das Hitler-Rätsel“ in Alain de Benoist – Aus Rechter Sicht Bd. 2).

Ein aktuelles Beispiel für eine „provokantere“ Neue Rechte ist der Podcast „Das Leuchtfeuer“ bei YouTube. Dort behandelte man das Thema Hitler in einer Doppelfolge. Die Deutung Hitlers ist etwas eigen, aber jedenfalls ist es eine erfrischende Abwechslung zu all den Schwarzmalern und Stilisierern.

Was man der aktuellen Neuen Rechten, primär also der IB, neben dem Verwässern ihrer Positionen vorwerfen kann, ist die Tatsache, dass sie, wie ihre politischen Vorgänger, trotz allem Aktivismus sehr kopflastig sind. Sie haben es außerdem, im Gegensatz zum NW oder italienischen, französischen und ukrainischen Gruppen nicht geschafft, eine eigene Sub- und Gegenkultur aufzubauen. Daran ändert auch das kurzzeitige identitäre Hausprojekt „Flamberg“ in Halle nichts, dass man trotzig gegenüber einer Universität aufzog anstatt in ruhigeren Gewässern ein langlebiges Leuchtturmprojekt zu schaffen.

Auch wenn der Jungeuropa-Verlag die Bezeichnung ablehnt, ist es ironischerweise genau dieser Verlag nebst Umfeld, welcher der „Alten neuen Rechten“ nahekommt. Ironisch deswegen, weil die konsequentere politische Ausrichtung und die fehlenden Scheuklappen des Jungeuropa-Verlags von Sellner und ähnlichen Akteuren gerade in den Anfangszeiten kritisiert wurden.

Alte Rechte

In der mangelnden Selbstreflexion ist jedoch die AR die „Königin der Waffen“: Welche Schlüsse zieht man aus den politischen Fehlern der jüngeren deutschen Geschichte und ihrer Politiker? Wie geht man mit Leuten um, die mit Bierbauch und Raucherlunge Texte über unsere Ahnen grölen und dabei billigen „Made in China“-Plunder tragen, auf denen die Zeichen deutscher Geschichte geklatscht wurden? Inwieweit sind Personen wie Oskar Dirlewanger mit einem „Geschlecht das aus dem Dunkel in das Helle strebt“ vereinbar? All das wissen ihre Fürsprecher nicht glaubwürdig zu beantworten.

Die selbstkritische Aufarbeitung der Geschichte im Sinne des Strebens nach Wahrheit und Verbesserung? Fehlanzeige. Man fordert zwar einerseits Beweise für dieses und jenes, doch gleicht am Ende des Tages manchmal eher dem „migrantisch gelesenen“ Schul-Assi, der nach dem Erwischtwerden mit gespielter Empörung behauptet „Isch hab doch nischt gemacht!“.

Wo findet man in der AR einen Benoist? Wo ein Institut für Staatspolitik? Wo sind die Denker, die die Weltanschauung weiterführen, die den Fragen des 21. Jahrhunderts nicht mit Antworten und Phrasen des 20. Jahrhunderts begegnen?

Sowohl der „alten“ als auch der „neuen“ Rechten in Deutschland wird es guttun, aus den Quellen der „Alten neuen Rechten“ zu schöpfen. Nicht um die Schriften als absolut anzusehen, sondern um einen Weg abseits von NS-Dogmatismus und IB-Beliebigkeit zu finden. Mitunter hat man den Eindruck, als würden AR und der christlich-konservative Teil der NR sich darum balgen, wer am längsten den Ballast vergangener Jahrhunderte durch das aktuelle Jahrhundert schleifen kann. Das mag ein Zeichen von Kraft und Ausdauer sein, nützt jedoch wenig, wenn man dabei unter die Räder gerät, weil die Panzer des Feindes über die Heeresstraße brausen.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #46

1 Gedanke zu „Altrechts, Neurechts, Altneurechts – Wenn Greise zanken“

  1. Viel Wahres dran, dachte ich mir beim Lesen der NS.heute.
    Wenn ich mich recht erinnere, waren wir mit Michael Kühnen und der ANS garnicht sooo „alt und rückwärtsgewandt“ wie manch bürgerlicher oder heutiger IB’ler meinen würde. Die Erkenntnisse sind seit 45 nahezu immer die Gleichen. Die Forderungen nach einem nationalen Sozialismus werden sich in der Zukunft als richtig erweisen als Gegenordnung zum Asozialen Globalismus. Europäische Völkerfreundschaft und Grossraumordnung ist seit 44 ohne Zweifel NS-Programmatik.
    Der Feind der Völker (unserer deutschen Zunge im besonderen) sollte erkannt sein.
    Aus der Verbots-welle heraus wurde der Geist des aktionsbezogen kreativwiderstandes fortgeführt in den „Freien Nationalisten“. Immer galt und gilt das freiwillige und durch Vorbild erschaffene Führertum.
    Kopfakrobaten und Schreibtischtäter können nur eingebunden Wirkung erzielen.
    Fazit: Im Widerstand muss es alles geben. Von den Kampsportlern über die Theoretiker bis hin zu Schauspiel/u.-Musikgruppen.
    Eines ist klar: Sich verstecken ist garkeine Lösung.
    Die Zeiten werden härter. „Achtet auf euer Blut!“
    -Steiner-

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