Ehre den gefallenen Kameraden – Rom im Januar

Kein Tourist verliert sich jemals in die Via Acca Larenzia, einer unscheinbaren Nebenstraße im Südosten von Rom, kilometerweit entfernt von den bekannten Sehenswürdigkeiten der Ewigen Stadt. Und doch ist diese kleine Straße ein Symbol, ein Mahnmal, das jedes Jahr am 7. Januar zahlreiche Menschen anzieht, seit nunmehr 47 Jahren. Sie stehen in Reih und Glied, von den Ordnern mit geradezu militärischer Präzision aufgestellt, über 1.000 Männer und Frauen. Um Punkt 18 Uhr legt sich eine Grabesstille über den Straßenzug. Aus dem Gebäude mit der hohen Eingangstür wird eine Standarte getragen, in großen silbernen Lettern steht auf dem Fahnentuch „Acca Larentia“. Alle Augen sind auf den graubärtigen Mann gerichtet, der nun seine kraftvolle Stimme erhebt. Der folgende Moment ist in dieser Form einmalig in ganz Europa.

Zu Besuch bei CasaPound

Wir beginnen unser kleines Rom-Abenteuer im „Carre Monti“, dem Frühstückscafé von CasaPound, etwa auf halbem Wege zwischen dem Bahnhof Roma Termini und dem Kolosseum gelegen. In der Außengastronomie sitzt eine Gruppe französischer Kameraden mit Oberlippenbärten beim Aperol Spritz, augenscheinlich nicht der erste des Tages. Den geselligen Franzosen sollten wir in den nächsten Tagen unseres Aufenthaltes immer wieder begegnen. Wenige Meter vom Carre Monti entfernt befindet sich die zu CasaPound gehörende Buchhandlung „Testa di Ferro“ („Eiserner Kopf“). Neben italienischsprachiger Literatur werden hier auch Bekleidung und Modeaccessoires angeboten.

Vom Carre Monti aus nimmt uns Sébastien mit in die Via Napoleone III, Hausnummer 8, zum „Hauptquartier“ von CasaPound. Der gebürtige Kanadier ist der Auslandsreferent von CasaPound, seit vielen Jahren führt er Gäste aus der ganzen Welt durch das sechsstöckige Haus, das seit nunmehr 21 Jahren im Besitz der Bewegung steht. Ende Dezember 2003 hatten sich einige verwegene „militanti“ (so die Eigenbezeichnung der italienischen Aktivisten) dazu entschlossen, das leerstehende Haus zu besetzen und für politische und soziale Zwecke zu okkupieren. Das Instrument der Hausbesetzung, eigentlich eine typisch linke Angelegenheit, war ein voller Erfolg: Die Provinzverwaltung als Eigentümerin arrangierte sich mit den Besetzern, heute bietet das Haus neben den Gemeinschaftsräumlichkeiten Wohnraum für 19 italienische Familien.

Man hat ja schon einiges über diese interessante Bewegung gelesen, zum Beispiel in dem CasaPound-Roman „Wer gegen uns?“ des Rechtsanwalts Domenico Di Tullio, oder das Italien-Kapitel aus dem Kult-Roman „EuropaPowerBrutal“ von John Hoewer. CasaPound entzieht sich jedenfalls allen gängigen Mustern, wie wir sie aus heimischen Gefilden gewohnt sind. Diese Bewegung, die sich heute mit zehntausenden Mitgliedern und Unterstützern über ganz Italien und Südtirol erstreckt, ist nach unserem Verständnis nicht „neurechts“, es sind auch keine klassischen Faschisten, und mit den herkömmlichen Organisationen des deutschen Nationalismus sind sie auch nicht vergleichbar. In ihren Anschauungen durchaus traditionalistisch, im Habitus popkulturell, im politischen Alltag sehr auf die soziale Frage zugunsten benachteiligter Italiener eingestellt – das ist das Erfolgsrezept dieser Bewegung, die vollkommen zurecht eine Ausstrahlungswirkung nach ganz Europa entfaltet.

Das „Carre Monti“ ist ein Frühstückscafé und eine Weinbar von CasaPound, das auch von vielen „normalen“ Touristen und Einheimischen genutzt wird
Bildquelle: „Carre Monti“ via Facebook
In unmittelbarer Nähe zum Carre Monti befindet sich die Buchhandlung „Testa di Ferro“
Bildquelle: „Libreria Testa di Ferro“ via Facebook

Die Zentrale von CasaPound im Zentrum von Rom; der Schriftzug in Marmorlettern musste nach einer Anweisung der Stadt 2019 entfernt werden
Bildquelle: Barbicone, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Die Dachterrasse der CasaPound-Zentrale kann im Sommer für gemütliche Abende genutzt werden
Bildquelle: „Cutty Sark – Roma“ via Instagram

Der CasaPound-Roman „Wer gegen uns?“ kann hier bestellt werden

Palazzo della Civiltà Italiana

Am 6. Januar, dem Tag vor der großen Acca Larenzia-Manifestation, wandeln wir auf den Spuren der faschistischen Architektur im römischen Stadtbild. Mit der Metro fahren wir einige Stationen in südliche Richtung, um zunächst dem „Palazzo della Civiltà Italiana“ (Palast der italienischen Zivilisation) einen Besuch abzustatten. Nach Anweisungen Benito Mussolinis wurde im Jahr 1938 mit dem Bau des 50 Meter hohen, neoklassizistischen Bauwerkes begonnen. Nach dem (vorläufigen) Sturz Mussolinis wurden die Bauarbeiten 1943 unterbrochen und erst nach dem Zweiten Weltkrieg beendet.

Das quadratische Gebäude soll mit seinen 216 Rundbogenarkaden auf sechs Stockwerken in seiner Bauweise an das antike Kolosseum erinnern, weshalb der Palazzo auch „Colosseo quadrato“ genannt wird. Die Arkaden erhalten einen versteckten Hinweis auf den Bauherrn: Die Anzahl von sechs senkrechten und neun waagerechten Arkaden entspricht der Anzahl der Buchstaben des Namens Benito Mussolini. Während der geplanten Weltausstellung 1942 sollte der Palazzo eine Ausstellung zur italienischen Volksgeschichte beherbergen und anschließend zu einem ständigen Museum werden. Dazu passt auch die Inschrift direkt unter dem Dach des Gebäudes: „Ein Volk der Dichter, der Künstler, der Helden, der Heiligen, der Denker, der Wissenschaftler, der Seeleute, der Wandernden“ – dieser vielleicht etwas zu selbstbewusste Spruch geht auf eine Rede Mussolinis vom 2. Oktober 1935 zurück, als er Äthiopien den Krieg erklärte.

Heute ist der Palazzo der Hauptsitz des Modeunternehmens Fendi und nicht öffentlich zugänglich. Wir haben Glück, denn das Pförtnerhäuschen ist gerade nicht besetzt, so dass wir uns das Gebäude und die Skulpturen drum herum aus nächster Nähe ansehen können, ins Gebäude selbst kommen wir allerdings nicht hinein.

Der „Palazzo della Civiltà Italiana“ ist eines der bekanntesten faschistischen Bauwerke in Rom

Natürlich wird auch in Rom gute Literatur an die Hand gegeben

Esposizione di Roma (EUR)

Der Palazzo befindet sich im Stadtviertel „Esposizione di Roma“ (EUR), der ab 1938 im Süden der Hauptstadt errichtet wurde und bis heute von dem unverkennbar „faschistischen“ neoklassischen Baustil geprägt wird. Hier hätte 1942 die Weltausstellung unter dem Titel „Olympiade der Kulturen“ stattfinden sollen, wenn der Verlauf und schließlich das unglückliche Ende des Zweiten Weltkrieges dem Vorhaben keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätten. Weitere bekannte Bauwerke des Stadtteils sind der heute als Mehrzweckhalle genutzte Kongresspalast, das „Museo della Civiltà Romana“ (Museum der römischen Zivilisation) sowie der Marconi-Obelisk, dessen Bau auf das Jahr 1939 zurückgeht.

Zwischen dem Palazzo della Civiltà Italiana und dem Kongresspalast befindet sich an der östlichen Gebäudeseite des „Palazzo degli Uffici“, das heute von einem Hausverwaltungsunternehmen genutzt wird, die Bronzestatue „Genio dello Sport“ (Genius des Sports). Die Skulptur hieß ursprünglich „Genio dell’Fascismo“, doch nach dem Krieg wurde der lorbeerbekränzte Jüngling in einen Boxer „verwandelt“, indem man ihm Riemen an den Handgelenken anfügte. Geht man von der Sportler-Skulptur aus weiter um das Gebäude herum, findet man versteckt ein faschistisches Wandbild zur Geschichte Roms, mit Mussolini hoch zu Ross als vorläufigen End- und Höhepunkt.

Der Kongresspalast im Stadtteil „Esposizione di Roma“ (EUR)

Foro Italico

Vom Süden Roms aus geht es mit der Metro und dem Bus einmal quer durch die italienische Hauptstadt zu unserem nächsten Ziel, dem Foro Italico im Nordwesten der Stadt. Die „Ponte Duca d’Aosta“, eine 220 Meter lange, steinerne Bogenbrücke führt über den Tiber zum Foro Italico. Die 1939 in Betrieb genommene Brücke, die dem italienischen General Emanuele Filiberto von Savoyen-Aosta (1869-1931) gewidmet ist, zeigt Marmorsäulen mit Schlachtszenen aus dem Ersten Weltkrieg. Unter der Brücke hausen obdachlose Afrikaner in Dreck und Müll. Überhaupt sind der architektonische Glanz vergangener Zeiten und der Verfall der Gegenwart in der italienischen Hauptstadt nah beieinander: Vor den Mauern der prunkvollen Kirchen und anderen repräsentativen Bauwerken schlagen Elendsgestalten ihre Lager auf, Penner betteln vor den Gotteshäusern um Almosen. Und noch etwas fällt auf: Die Allgegenwart von Carabinieri und schwer bewaffneten Soldaten. Die ständige Polizei- und Militärpräsenz im Stadtbild soll der Bevölkerung wohl ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, andererseits gehört es zur „neuen Normalität“ in allen Gesellschaften, die von unkontrollierter Masseneinwanderung betroffen sind, sich an den Anblick bewaffneter Einheiten gewöhnen zu müssen; aus Budapest oder Warschau sind solche Bilder jedenfalls nicht bekannt.

Die „Ponte Duca d’Aosta“, die über den Tiber zum Foro Italico führt, zeigt auf Marmorsäulen Schlachtszenen aus dem Ersten Weltkrieg

Das Foro Italico (ehemals Foro Mussolini) ist ein zwischen 1928 und 1938 errichteter, monumentaler Sportstättenkomplex im Stile der römischen Antike. Die Anlage umfasst heute unter anderem das Olympiastadion, ein Schwimmstadion, Tennisanlagen sowie das „Stadio die Marmi“ (Marmorstadion), das von überlebensgroßen Sportlerfiguren gesäumt ist. Hätten wir Sportsachen dabei, wir hätten uns sofort umgezogen und ein paar Runden im Marmorstadion gedreht, so beeindruckend ist die gepflegte Anlage, die für die Öffentlichkeit frei zugänglich ist, wenn hier nicht gerade eine Veranstaltung stattfindet. Das faschistische Italien wollte sich mit dem Bau des Forums um die Olympischen Sommerspiele 1940 bewerben, die jedoch aus den bekannten Gründen nicht stattfinden konnten. Was 1940 nicht funktionierte, sollte jedoch genau 20 Jahre später nachgeholt werden, als Rom Gastgeber der Olympischen Sommerspiele 1960 wurde. Wiederum 30 Jahre später wurde die deutsche Nationalmannschaft, die diesen Namen damals noch verdiente, 1990 im Olympiastadion unter Teamchef Franz Beckenbauer Fußball-Weltmeister.

Wer bekommt da nicht Lust, ein paar Runden zu drehen? Das „Marmorstadion“ ist umgeben von überlebensgroßen Sportlerfiguren
 

Zwischen der Ponte Duca d’Aosta und dem Eingang zum Olympiastadion befindet sich auf einem zentralen Platz ein Steinpfeiler, der viele bundesdeutsche Touristen wahrscheinlich zunächst irritieren mag. Der mehr als 17 Meter hohe Obelisk mit vergoldeter Spitze besteht aus feinstem Carrara-Marmor und wiegt knapp 300 Tonnen. Mit großem technischen Aufwand wurde der Pfeiler aus den Apuanischen Alpen bei Carrara in der Toskana gehauen, nach Rom transportiert und am 4. November 1932, aus Anlass des 10. Jahrestages der faschistischen Machtübernahme, der Öffentlichkeit übergeben. Was den „Mussolini-Obelisken“ so besonders macht, ist aber vor allem seine Inschrift: Noch heute steht dort in großen Lettern „MVSSOLINI DVX („Mussolini Führer) neben einem Liktorenbündel („fasces“) als Symbol der italienischen Faschisten. Der Mussolini-Obelisk wurde in der Nachkriegszeit in seinem ursprünglichen Erscheinungsbild belassen und steht noch heute genauso da, wie er vor mehr als 90 Jahren eingeweiht wurde. Auch während der Restaurierungsarbeiten im Jahr 2006 wurde nichts entfernt, keine Hinweistafeln angebracht und nichts „kontextualisiert“, wie dieses Lieblingswort der Linken heißt, wenn es um die Herabwürdigung der Geschichte geht.

Der über 17 Meter hohe Mussolini-Obelisk vor dem Eingang zum Olympiastadion ist bis heute unverändert

Direkt hinter dem Mussolini-Obelisken gehen wir durch ein Tor auf den „Piazzale del Foro Italico“, der bis 1946 „Piazzale dell’Impero“ hieß, wobei „Impero“ mit dem deutschen Begriff „Reich“ gleichzusetzen ist. Es handelt sich hierbei um den Vorplatz des Olympiastadions, der im Auftrag der „Opera Nationale Balilla“, der Jugendorganisation der faschistischen Partei Italiens, errichtet wurde. Am Abend zuvor fand hier das Derby zwischen den Rivalen AS Rom und Lazio Rom statt, das wir uns in einem Irish Pub angeschaut hatten, dessen Besitzer ebenfalls Mitglied bei CasaPound ist. Bei unserem Besuch am nächsten Tag ist alles bereits wieder so picobello, als hätten schon Ewigkeiten keine Fan-Massen mehr das Stadion betreten. Der Piazzale ist gepflastert mit Mosaiken aus weißem Carrara-Marmor und schwarzen Mosaiksteinen, die kriegerische und sportliche Motive darstellen. Außerdem finden sich dort heute noch Schriftzüge mit dem Inhalt „DVCE“ („Führer“), „DVCE A NOI“ („Unser Führer“), MOLTI NEMICI MOLTO ONORE („Viel Feind, viel Ehr“) und DVCE LA NOSTRA GIOVINEZZA A VOI DEDICHIAMO („Duce, wir schenken Euch unsere Jugend“). Die Mosaiken führen zu einem Brunnen auf dem Zentrum der Platzanlage, in dessen Mitte sich die weltgrößte Marmorkugel mit einem Durchmesser von drei Metern und 37 Tonnen Gewicht befindet…

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