Besprechungen #49: Werner Bräuninger – Hitlers Kontrahenten in der NSDAP

Von Machtkämpfen und NS-Dissidenten

Gab es im Dritten Reich Oppositionelle oder sogar Machtkämpfe innerhalb der NSDAP? Der durchschnittliche Konsument der zahlreichen im Bildfunk ausgestrahlten Dokumentationen dürfte diese Frage verneinen, gilt doch der Staat des Nationalsozialismus zumeist als ein monolithischer Block mit Adolf Hitler an der Spitze. Das jedoch, so Werner Bräuninger in seinem 2004 erstmals erschienenen und nunmehr als überarbeitete Neuauflage vorliegendem Handbuch, ist ein weit verbreiteter Irrglaube.

Die Geschichte der NSDAP, so stellt der Autor klar, „ist tatsächlich eine Kette von Machtkämpfen“, die bei der Machtergreifung Hitlers 1933 schließlich zu einem institutionellen Chaos führten. Der Reichskanzler und Parteichef ließ den persönlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung viel Raum, sobald er sich aber existentiell bedroht fühlte oder ihm die Exzesse zu bunt wurden, griff er hart durch, resümiert Bräuninger, der dazu Hitler aus einer Rede vom November 1941 zitiert: „Sie kennen meine Methode – ich sehe dem eine gewisse Zeitlang zu. Das ist die Bewährungsfrist. Aber dann kommt der Augenblick, an dem ich blitzartig zuschlage und das sehr schnell beseitige.“ Wie das in der Praxis aussah, führt Bräuninger an zahlreichen Beispielen der vorgestellten Machtkämpfe aus.

Die meisten der Fälle dürften selbst Geschichtsinteressierten unbekannt sein, etwa die religions-reformatorischen Bestrebungen des Schriftstellers und NSDAP-Gauleiters von Thüringen, Artur Dinter. Entgegen der strengen Parteirichtlinien hatte er sich immer wieder zu kirchenpolitischen Fragen geäußert, bis er schließlich 1927 seinen Hut nehmen musste. Auch die Hitler-Opposition im NS-Studentenbund durch Ernst Anrich und Reinhard Sunkel ist weitgehend unbekannt. Sunkel war seit 1930 Stellvertreter von Baldur von Schirach im NSDStB, Anrich war dort seit 1928 Reichsschulungsleiter. Sunkel stiftete nach Querelen mit seinem Chef eine NSDStB-interne Rebellion gegen Schirach an, bei der er von Anrich unterstützt wurde. Die Machtprobe scheiterte an Hitler, und beide wurden aus dem Bund ausgeschlossen.

Für viel Zündstoff sorgte auch das Verhalten einiger Gauleiter, die Hitler und die Parteiführung schon vor Kriegsbeginn beschäftigen sollten. 1936 wurde der alte Kampfgenosse und Gauleiter der Ostmark, Wilhelm Kube, wegen Bestechlichkeit und Selbstbereicherung entlassen. Ein drastisches Exempel statuierte Hitler am ehemaligen Gauleiter von Schlesien und alten Kampfgefährten Josef Wagner. Eine Tochter des fanatischen Katholiken Wagner wollte einen SS-Mann ehelichen, woraufhin die Gattin Wagners ihr in einem Brief mit einem Verstoß aus der Familie drohte, da der SS-Mann aus der Kirche ausgetreten war. Auf der Tagung der Reichs- und Gauleiter im November 1941 in München zitierte Hitler vor der Versammlung aus dem ihm übermittelten Brief, schloss Wagner aus der Partei aus und forderte ihn auf, sofort den Raum zu verlassen.

Immer wieder zu Konflikten führte auch das Gebaren diverser SA-Führer. Die bekanntesten Fälle sind die des Franz Pfeffer von Salomon und von Walter Stennes. Dabei ging es stets um die Einforderung von mehr politischer Teilhabe, mehr finanzieller Mittel und um innere Machtkämpfe. Ein besonderer Fall war der des Reichsmusikleiters Wilhelm Hillebrand, der 1927 diese Funktion übernahm, um Musik- und Spielmannszüge für die SA aufzubauen. Schon bald, so die Zusammenfassung von Bräuninger, „versponn er sich in ein wirres Geflecht von Intrigen um Walter Stennes und dessen Entourage innerhalb der Berliner SA-Führung.“ Im Laufe der Zeit erhob Hillebrand gegen zahlreiche Personen Vorwürfe aufgrund homosexueller Handlungen oder Ehebruchs und sorgte so für ein Klima großen Misstrauens in der SA. Goebbels notierte im September 1928: „Zwei Dinge müssen noch gelöst werden: Die Musikfrage und das Problem Hillebrand“. Der Reichsmusikleiter trat schließlich 1928 aus der Partei aus, setzte seine Agitation gegen Berliner SA-Männer weiter fort, schrieb eine vermeintliche „Enthüllungsschrift“ und verscherzte es sich so mit den letzten Fürsprechern. 1929 war er dann regelmäßiger Gast auf kommunistischen Veranstaltungen, wo er über die Korruption und den Sittenverfall der SA referierte. Trotz des Verrates sorgte er noch lange nach seinem Abgang aufgrund seiner skurrilen Eingaben an den „Führer“ für Heiterkeit im vertrauten Kreis um Hitler.

Positiv an der Veröffentlichung sticht vor allem die detaillierte und gut verständliche Schilderung des Verhältnisses zwischen Hitler und seinen Kontrahenten hervor. Negativ anzumerken sind inhaltlich lediglich kleinere Unschärfen, etwa wenn Arthur Dinter als typischer Germanentümler vorgestellt wird, obgleich er als Anhänger Houston Stewart Chamberlains eigentlich das Gegenteil verkörperte, nämlich einen christlich geprägten Reformator, der Jesus als Arier sah und von einem deutsch-nationalen Christentum auf arischer Basis träumte, wie Bräuninger selbst konstatiert. Auch der mit Verweis auf die Handhabung der Südtirol-Frage erhobene Vorwurf gegenüber Hitler, „prinzipienlos“ gewesen zu sein, trifft in dieser Allgemeinheit sicherlich nicht zu. Denn das wesentliche Charakteristikum eines Politikers ist es, so Bismarck, die „Kunst, mit den Realitäten zu wirtschaften und nicht mit Fictionen“ und nicht „Gefühle, sondern Interessen und Gegenseitigkeit zur Richtschnur zu nehmen“. Ein Verzicht auf Südtirol war also keine Aufgabe von Prinzipien, sondern die widerwillige, aber aus Hitlers Sicht notwendige Opferung eines Zieles für ein höheres Ziel, nämlich die Gewinnung eines Bündnispartners für die Wiedererrichtung des Reiches.

Von größerem Gewicht ist jedoch die unvollständige Behandlung des Themas. So wäre ein Eingehen auf die Gerüchte um einen bewussten Verrat Bormanns wünschenswert gewesen, der jüngeren Stimmen zufolge sogar als Mit-Initiator einer Verschwörung gegen Hitler gesehen werden muss, der auch Albert Speer und der SS-General Kammler angehört haben sollen. Ziel sei es gewesen, gegen das Angebot von fortschrittlicher Kriegstechnologie den eigenen Kopf aus der drohenden Schlinge der alliierten Kriegsgerichte zu ziehen. Ungleich schwerer aber wiegt der Verzicht auf die Darstellung der wohl bekanntesten Fälle innerparteilicher Opposition: Die Strasser-Bewegung und den Röhm Putsch. 

Zweifellos schließt Bräuninger mit seinem Werk eine Lücke in der geschichtlichen Aufarbeitung des Phänomens NSDAP, und es gelingt ihm an einigen Stellen eine Richtigstellung falscher Vorstellungen. Für den behandelten Bereich ist das Werk daher unverzichtbar, von einem Standardwerk der Geschichte der innerparteilichen Opposition zu Hitler würde man allerdings erwarten, dass es auch die wohl bekanntesten Fälle einbezieht. Denn eine Geschichte von Hitlers Kontrahenten ohne eine zumindest oberflächliche Erläuterung der schon ausgiebig historisch betrachteten Fälle Strasser und Röhm ist zwangsläufig unvollständig, und dieser Verzicht ist zugleich ein Verzicht auf die Möglichkeit, einen weiteren Leserkreis über ein begrenztes Fachpublikum hinaus zu gewinnen.

Dennis Krüger

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #32

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