Der 17. August 1987 – Mord in Spandau

Am Montag, den 17. August 1987, klingelt um 14 Uhr bei Herrn Abdallah Melaouhi, dem tunesischen Pfleger des 93-jährigen Rudolf Heß, seit 46 Jahren in alliierter Kriegsgefangenschaft, das Telefon. Am anderen Ende meldet sich der erregte, ja geradezu hysterische, französische Tageschefwächter Jean-Pierre Audoin. Mit sich vor Aufregung überschlagender Stimme spricht er zu Melaouhi: „Komm, komm, verdammt nochmal, schnell! Heß wurde ermordet, nein, nicht ermordet!“ Zwar hat sich Audoin direkt wieder „korrigiert“, aber in seiner ersten Erregung eindeutig gesagt, dass Heß ermordet wurde.

Keine zwei Minuten später steht Melaouhi, seit fünf Jahren Krankenpfleger und persönlicher Vertrauter von Rudolf Heß und zum Schluss sogar in freundschaftlichem Verhältnis zum Reichsminister stehend, vor dem Stahltor des Militärgefängnisses in Berlin-Spandau. Er klingelt geschlagene 20 Minuten lang, doch niemand reagiert. Irgendwann öffnet der britische Wächter Miller das Klappfenster, schaut Melaouhi an und schließt die Klappe wieder. Melaouhi klingelt pausenlos weiter, wieder vergehen mehrere Minuten. Erneut öffnet Miller das Fenster und sagt: „Herr Melaouhi, es ist alles vorbei. Sie können nach Hause gehen.“

Doch der Tunesier lässt sich nicht abwimmeln. Wieder drängt er lautstark darauf, zu seinem Patienten durchgelassen zu werden. Tatsächlich öffnet Miller schließlich die Tür und lässt den Pfleger hinein. Zwei Meter hinter dem Tor wartet ein us-amerikanischer Soldat mit einem auf Melaouhi angelegten Gewehr und sagt: „No, nikt rein!“ Melaouhi geht in seiner Aufgeregtheit auf den Soldaten zu, drückt das Gewehr zur Seite und liefert sich mit dem Soldaten eine lautstarke und handgreifliche Auseinandersetzung. Ein amerikanischer Offizier tritt dazu und befiehlt dem Soldaten, Melaouhi passieren zu lassen.

Melaouhi weiß, dass sich sein Patient um diese Zeit gewöhnlich im Garten aufhält. Durch die vordere Tür des Gefängnistraktes wäre Melaouhi in wenigen Minuten dort gewesen, doch Wächter Miller weigert sich vehement, die Tür aufzuschließen. Also muss Melaouhi, um in den Garten zu gelangen, um den ganzen Zellenblock herumlaufen. Als der Pfleger schließlich im Gartenhaus ankommt, sind seit dem Anruf etwa 40 Minuten vergangen.

Im Gartenhaus bietet sich dem Tunesier ein erschreckendes Bild: Praktisch die gesamte Möblierung ist umgeworfen, die Strohmatte verrutscht. Ihm ist sofort klar: Hier muss ein Kampf stattgefunden haben! Das Verlängerungskabel der Stehlampe, mit dem sich Rudolf Heß angeblich selbst erhängt haben soll, befindet sich noch in der Steckdose – auch in den nächsten 30 Jahren wird Melaouhi immer wieder bekräftigen, sich ganz genau an das sich in der Steckdose befindliche Kabel erinnern zu können.

Der greise ehemalige Reichsminister und „Stellvertreter des Führers“ liegt tot in der Mitte des Gartenhauses. Am Fußende der Leiche steht der schwarze us-amerikanische Wächter Anthony Jordan, extrem nervös, sein Hemd schweißdurchtränkt. Neben dem toten Rudolf Heß stehen zwei weitere Personen, die Melaouhi mit eisigen Augen anschauen. Sie stecken in unvollständigen und auffällig schlecht sitzenden amerikanischen Uniformen. Die Uniform des größeren der beiden Männer droht förmlich zu platzen, dem Kleinen sind selbst die Hosen zu kurz. Melaouhi ist sich sicher, in diesem Zeitpunkt den Mördern von Rudolf Heß in die Augen zu sehen. Wächter Jordan sieht den Pfleger an und sagt: „Der [sic!] Schwein ist erledigt. Sie brauchen keine Nachtschicht mehr zu arbeiten.“ Er sagte ganz deutlich „erledigt“!

Nun bekommt Melaouhi selbst Todesängste. Er befindet sich in einem Raum mit zwei, vielleicht sogar drei Auftragsmördern, weniger als eine Stunde nach der Tat, am Tatort, den Ermordeten vor sich liegend. Der Pfleger weiß, dass Heß bereits tot ist, doch unternimmt zur Ablenkung Wiederbelebungsversuche. Er fordert Jordan auf, den Notfallkoffer aus dem Gefängnistrakt zu holen. Anstandslos verlässt der schwarze Wächter das Gartenhaus.

Während Jordan unterwegs ist, bittet Melaouhi den größeren der beiden Männer, die er trotz fünfjähriger täglicher Arbeit im Spandauer Militärgefängnis nie zuvor gesehen hat, seine Reanimationsversuche am leblosen Körper von Rudolf Heß durch eine Herzmassage zu unterstützen. Bei dieser „Massage“ bricht der unbekannte Mann dem toten Heß neun Rippen und das Brustbein.

Nach 15-20 Minuten kommt Jordan wieder, der in der Zwischenzeit in aller Ruhe seine Kleidung gewechselt hat. Der Notfallkoffer, den Melaouhi noch am Vormittag kontrolliert hatte, ist manipuliert worden. Das Siegel wurde gebrochen, der komplette Sauerstoff aus der Flasche entleert, die Batterie aus dem Intubationsbesteck entnommen und Löcher in das Röhrchen gestochen.

Gegen 15.20 Uhr, also mindestens 80 Minuten nach dem Mord an Rudolf Heß, fährt ein Krankenwagen des britischen Militärhospitals vor. Ein britischer Arzt und ein Sanitäter bringen eine Herz-Lungen-Maschine ins Gartenhaus – die allerdings nicht funktionstüchtig ist. Der Leichnam wird auf eine Transportbahre gelegt und in den Krankenwagen geschoben. Um 16.10 Uhr wird Rudolf Heß im Militärhospital offiziell für tot erklärt. Im Foyer des Krankenhauses stoßen die drei westlichen Direktoren des Spandauer Gefängnisses und einige Offiziere mit Sektgläsern auf die Ermordung des 93-jährigen Greises an.

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