Der vergessene Chronist – Zum 125. Geburtstag von Edwin Erich Dwinger

Manch bekannter Autor behält seinen Ruhm noch nach Jahrhunderten, mancher fällt bereits nach seinem Tod der Vergessenheit anheim. Entweder als natürlicher Prozess, der jeden treffen kann, oder weil das Rad der Geschichte über sie hinwegrollt. Letzteres trifft auf Edwin Erich Dwinger zu. In den 20ern war er einer der populärsten deutschen Autoren, von Rechtsaußen bis Linksaußen positiv rezensiert und gefeiert, vom Sohn Edgar Alan Poes für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen und mit einem Werk, welches in zwölf Sprachen übersetzt wurde.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert geboren, wuchs er als Sohn einer russischen Mutter und eines deutschen Offiziers der kaiserlichen Marine in Kiel auf und wurde zweisprachig erzogen. Wer seine autobiographischen Romane kennt, weiß, dass ihn die Kenntnisse der russischen Sprache nicht selten das Leben retten. 1915 meldet er sich freiwillig und gerät nach kurzem Kriegseinsatz (der erste Band seiner Autobiographie behandelt seine Kampferfahrung auf gerade mal zwei Seiten) an der Ostfront in russische Kriegsgefangenschaft. Was folgt, ist eine Geschichte, so abenteuerlich, dass Romane von Karl May oder über Indiana Jones wie Lavendeltropfen wirken. In Kriegsgefangenschaft erlebt Dwinger die unmenschlichen und mörderischen Bedingungen der russischen Gefangenenlager. Niedertracht und Sadismus, aber auch Barmherzigkeit und Kameradschaft. 1919 gelingt ihm die Flucht, danach Teilnahme im russischen Bürgerkrieg. Er geriet erneut in Kriegsgefangenschaft, wieder gelingt ihm die Flucht. Durch Russland und das Baltikum gelangt er schließlich 1920 zurück nach Deutschland.

Die Armee hinter Stacheldraht

Nach fünf Jahren Elend, Leid und Gemetzel lässt sich Dwinger als Bauer nieder und verarbeitet seine Erlebnisse in der autobiografischen Sibirischen Trilogie/Deutschen Passion. Der erste Band „Die Armee hinter Stacheldraht“ macht ihn 1929 zum Bestsellerautor. Im Vorspann schreibt er: „Dieses Buch enthält Aufzeichnungen aus den Jahren 1915 bis 1918. Es berichtet weder von Schlachten, noch von Heldentaten, sondern von der anderen Seite: von den ‚Hinterhöfen‘ des Krieges – auf denen ohne Frontbericht gestorben wurde.“ Wochenlange Bahntransporte, Krankheiten und Seuchen wie Typhus, mangelnde bis fehlende ärztliche Versorgung, Hunger, Hitze, Kälte, von Ratten zerfressene Leichenberge, sadistische Wärter, Alkoholismus, homosexuelle Beziehungen aus Verzweiflung, Depressionen, Wahnsinn, Selbstverstümmelung, Selbstmord, körperlicher und seelischer Niedergang. Ungeschönt beschreibt Dwinger seine Lagererlebnisse. Das Buch ist harte Kost und dennoch verfällt Dwinger in keinen stumpfen Chauvinismus. Er sieht die Guten und die Schlechten auf Seiten der gefangenen Deutschen und ihrer Verbündeten als auch auf Seiten der Russen. Er erkennt den Irrsinn des gegenseitigen Abschlachtens und Hasses. Trotz alledem wird er kein zweiter Remarque: „Ein Mensch, der nicht fähig ist, sich für eine Idee aufzuopfern, ist im höheren Sinne noch kein Mensch“, heißt es im ersten Band der Reihe.

Mit der Kapitulation Russlands und dem Untergang des Zarenreiches sind die Gefangenen jedoch längst nicht frei. Die Roten und Weißen benutzen sie als Arbeiter oder Soldaten. Dwinger gelingt 1919 die Flucht aus dem Lager, wird jedoch von Soldaten der Weißen Armee als der Spionage verdächtig gefangen genommen (die Szenen im Gefängnis geben einen ersten Einblick in den Wahnsinn des russischen Bürgerkrieges) und nur durch Zufall „gerettet“. Nun hat er die Wahl: Exekution oder Eintritt in die Weiße Armee.

Zwischen Weiß und Rot

Die Erlebnisse im Bürgerkrieg können ohne Übertreibung als apokalyptisch bezeichnet werden. In seiner schonungslosen Art beschreibt Dwinger die Gräuel der Roten und Weißen, ohne jedoch, trotz antikommunistischer Haltung, in platte Parolen zu verfallen, sodass das Buch selbst in der Roten Fahne positiv rezensiert wurde. Auch hier sieht Dwinger die Menschen, versteht ihre Motivation und bilanziert, dass die Weiße Armee wohl gesiegt hätte, wäre sie auch nur ansatzweise so idealistisch und auf die alten, verkrusteten Formen verhaftet gewesen wie die Roten. Auch hier wieder: Hunger, Seuchen, Geschlechtskrankheiten, Mord, Folter, rohe Gewalt und rohe Erwiderung darauf, kompletter Verfall. Der Untergang des Adels und der Weißen Armee wird derart ungeschönt gezeigt, dass man hoffen möchte, es sei nur ein wahnsinniger Fiebertraum. Wenn am Ende die Zivilisten und Soldaten zu Hunderttausenden in einem großen Tross Richtung Osten durch Schnee und Eis ziehen, Frauen, Kinder, Veteranen elendig erfrieren und verhungern, ihre Leichen den Wegesrand pflastern und der einst stolze Adel um Essensreste bettelt, dann ist das nicht nur eine der erdrückendsten Szenen der Literatur, sondern auch ein Vorgeschmack auf die weiteren Folgen des Ersten Weltkriegs bis hin nach 1945. Wer die damalige Furcht vor einer kommunistischen Revolution wirklich verstehen möchte, der lese dieses Buch.

Auch mit dem Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen wird nicht gespart, etwa wenn Dwinger mit Kameraden eine Irrenanstalt besucht, in denen ehemalige deutsche und österreichische Soldaten zwischen Dreck in Lumpen umherkriechen, viehische Laute und wirres Gerede von sich geben. Söhne, Brüder, Väter, Ehemänner. Seelisch hingeschlachtet für nichts. Vergessen und verrottet in einer schäbigen Anstalt irgendwo in den Weiten Russlands. Ihr weiteres Schicksal in den Massakern und Hungersnöten des Bürgerkriegs kann man sich denken.

Eine interessante Anekdote: Dwinger und sein Werk fanden selbst in Polen zwischen den Weltkriegen wohlwollende Resonanz. Nach 1945 verstummten auch diese Stimmen.

Eine neue Zeit

Im Dritten Reich setzte Dwinger seine schriftstellerische Tätigkeit fort, auch wenn sein Schauspiel „Die Gefangenen“ wegen angeblichem Defätismus nicht aufgeführt werden durfte. Seinen nächsten großen Erfolg feierte er mit den beiden Romanen des fiktiven Freikorps Mannsfeld, „Die letzten Reiter“ und „Auf halbem Wege“, die in ähnlich drastischer Weise, jedoch in nationalistischeren Tönen geschrieben wurden. Auch hier versucht Dwinger, Brücken zwischen Deutschen und Russen zu bauen und macht wie kein Zweiter die brutalen Kämpfe im Baltikum begreif- und erlebbar, sodass diese Bände für jeden zur Pflichtlektüre zählen, der sich für die Freikorps interessiert, zumal auch bekannte Gesichter wie von Manteuffel, Awaloff und Schlageter ihren Auftritt haben. Die Hoffnungen und der Mut der Freiwilligen, das Elend in den immer weiter voranschreitenden Kämpfen, in denen keine Seite Gefangene macht, das Leid der Zivilbevölkerung und die bis zur Gefühlslosigkeit zersetzende Verzweiflung der baltendeutschen Freiwilligen, werden von Dwinger in seiner typischen Art schonungslos und ergreifend geschildert. Besonders am jungen baltendeutschen Adeligen von Pahlen wird dies dem Leser schmerzhaft deutlich.

1936 veröffentlichte er mit „Und Gott schweigt?“ die Erlebnisse eines jungen Kommunisten in der Sowjetunion, in die er 1933 flüchtete. Von der Propaganda geblendet, erhält er mehr und mehr Einblicke hinter die Fassade und kehrt desillusioniert ins Deutsche Reich zurück. Die Beschreibungen des Holodomor fallen, für Dwinger typisch, schonungslos ehrlich aus. So etwa wenn der Protagonist beschreibt, wie er das Dorf besucht, in welchem er seine Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg erlebte und die apathischen, ausgezehrten Bewohner, mehr tot als lebendig, im Staub umherkriechen sieht, sofern sie überhaupt noch die Kraft dazu haben.

Ende der 30er kam es zur Annäherung an die NS-Regierung: Ausgezeichnet mit dem Dietrich-Eckhart-Preis und als Reichskultursenator in der Reichskulturkammer, trat Dwinger 1937 der NSDAP bei und hatte bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in der SS den Rang des Obersturmführers inne. Wie Pierre Drieu La Rochelle in „Der falsche Belgier“, veröffentlichte auch Dwinger seine Erlebnisse als Kriegsberichterstatter im spanischen Bürgerkrieg unter dem Titel „Die spanischen Silhouetten“.

Der Niedergang

Den Zweiten Weltkrieg erlebte Dwinger als Kriegsberichterstatter erst im Frankreichfeldzug („Panzerführer“) und ab 1942 auf Himmlers Geheiß in Russland („Wiedersehen mit Sowjetrussland“). Jedoch erreichen sie beim Leser bei Weitem nicht die Wirkung seiner vorangegangenen Werke. Von der zusehends grausamen Behandlung der russischen Zivilbevölkerung abgestoßen, kritisierte er, wie u.a. Alfred Rosenberg, die Ostpolitik Hitlers und Himmlers, was ihm zusehends die Feindschaft deren Umfelds einbrachte. Wie Rosenberg forderte er eine weniger restriktive Politik gegen die Bevölkerung und den Aufbau von Bildungsprogrammen, um so noch mehr Russen, Ukrainer und Belarussen zum Kampf gegen die Kommunisten zu überzeugen. Zudem setzte sich Dwinger leidenschaftlich für den Aufbau einer russischen Freiwilligenarmee unter General Andrei Wlassow ein (1951 setzte er ihm mit „General Wlassow. Eine Tragödie unserer Zeit“ ein literarisches Denkmal). An freiwilligen russischen Soldaten mangelte es nicht, doch der Aufbau der Russischen Befreiungsarmee (ROA) folgte nach langem Zögern Hitlers erst Ende 1944. Russische Truppen, die man schon vorher unter deutschem Oberbefehl kämpfen ließ, wurden bei der Partisanenbekämpfung auf dem Balkan verheizt, und wer fernab „Mütterchen Russlands“ die Kämpfe überlebte, die nichts mit der Befreiung ihrer Heimat zu tun hatten, wurde von der vorrückenden Roten Armee hingerichtet.

1943 verlor Dwinger auch Himmlers Sympathien, sodass man ihn unter Hausarrest stellte und ihm Schreibverbot erteilte. Zu unangenehm waren die zahlreichen Beiträge und Denkschriften, in denen er sich für ein radikales Umdenken der Hitlerschen Ostpolitik einsetzte, um die anfänglichen Erfolge an der Ostfront fortzusetzen und die slawischen Völker unter ihrer Mithilfe vom Kommunismus zu befreien.

Der Entnazifizierungsprozess verlief für Dwinger harmlos, sodass er sich bald wieder dem Schreiben widmen konnte. 1950 veröffentlichte er mit „Wenn die Dämme brechen“ einen wie gewohnt packenden Roman über den Vormarsch der Roten Armee in Ostpreußen. Das Buch kann als inoffizielle Fortsetzung der „Deutschen Passion“-Trilogie gezählt werden, denn einige der bekannten Charaktere, die sich in „Wir rufen Deutschland“ in Ostpreußen niederließen, trifft der Leser erneut und erlebt, wie sie den Ansturm der Roten Armee zum zweiten Male trotzen müssen.

Zwar konnte Dwinger in der jungen BRD weitere Erfolge feiern und einige seiner Bücher wurden bis in die 70er-Jahre neu aufgelegt, doch der sich ändernde Zeitgeist verschlang schließlich auch Dwinger, der 1981 in Bayern verstarb. Wenige Jahre später wurde er selbst in weiten Teilen der deutschen Rechten vergessen und wird zumeist wohl nur denen ein Name sein, die sich für die Freikorps oder den russischen Bürgerkrieg interessieren. Dabei lohnt sich die Lektüre Dwingers, denn sein Werk, fernab von pathetischer Überhöhung, remarqueschen Wehklagen oder unpassenden Ästhetizismus, zeigt einen „erfrischend“ einfachen Blick auf die Gemetzel des „zweiten dreißigjährigen Krieges“. Es muss nichts geschönt und nichts verzerrt werden, denn die Realität hat bereits genug Edles und Grausames zu bieten, und ein simples schwarz-weiß eignet sich höchstens für die Masse an Propagandaliteratur aller Seiten.

Wer Dwinger liest, der reißt den Schleier des Vergessens von den Vielen, die den Untergang einer Epoche nicht überlebten und gnadenlos in den Fleischwölfen der Umwälzungen zerrieben wurden. Die Namen und das Schicksal derer, die stellvertretend für sie in diesen Büchern stehen, werden noch lange in Erinnerung bleiben. Sie haben es verdient, denn sie waren Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Söhne, Töchter. Sie sind ein Teil von uns.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #24

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1 Gedanke zu „Der vergessene Chronist – Zum 125. Geburtstag von Edwin Erich Dwinger“

  1. Vielen Dank für die Vorstellung dieses Schriftstellers. Ich werde mir demnächst Werke von ihm besorgen – hört sich vielversprechend an. Nur wer selbst etwas erlebt, kann anderen davon erzählen. In der heutigen Zeit scheint es eher Schwätzer als Erzähler zu geben. Charaktere bilden sich eben in Notzeiten…

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