„Lost Places“ und „Dark Tourism“ – Im Gespräch mit Sebastian Schmidtke

Lost Places – oder auch Rotten Places genannt – werden von immer mehr Fotografen und Abenteurern in ihrer Freizeit aufgesucht. Hierbei handelt es sich um aufgegebene Orte, die weder touristisch noch kulturhistorisch gepflegt werden und stattdessen dem allmählichen Verfall preisgegeben werden. Lost Places stehen also für das Vergangene und für den Zerfall. Gerade für geschichtlich Interessierte, wie wir es sind, erfreuen sich solche Orte immer größerer Beliebtheit. Einer von uns begibt sich regelmäßig auf Zeitreisen an längst abgeschriebene und oft gänzlich vergessene Plätze, die Rede ist von unserem Kameraden Sebastian Schmidtke aus Berlin. 

Unser Gesprächspartner Sebastian Schmidtke

N.S. Heute: Sebastian, stelle Dich unseren Lesern doch bitte kurz vor, damit wir ein Bild von dem Mann haben, den man sonst nur aus politischen Zusammenhängen kennt.

Sebastian: Hallo allerseits, politisch brauche ich wohl nichts weiter über mich zu erzählen, wer da Genaues wissen möchte, kann die Suchmaschinen im Internet anwerfen. Ich stamme aus Strausberg in Brandenburg und bin mit 18 Jahren nach Berlin gezogen, um dort politisch aktiv zu werden. In meiner Freizeit – wenn ich dann mal welche habe – gehe ich wandern, bin im Outdoor- und Bushcraft-Bereich unterwegs und besuche, worum es hier ja geht, gerne Lost Places.

N.S. Heute: Wann hast Du das Hobby, Lost Places zu besuchen, entdeckt und wie kam es dazu?

Sebastian: Eigentlich schon seit meiner Jugend. Ich komme aus einer Stadt beziehungsweise einer Region, in der es noch viele Bunker der ehemaligen NVA und der Sowjetarmee gibt. Als Kinder und Jugendliche haben wir diese erkundet, damals eher weniger wegen des geschichtlichen Hintergrundes, sondern eher deshalb, weil es spannend war, dort irgendwas zu finden, außerdem war es für uns natürlich etwas gruselig. Später in Berlin hat man aus anderen Gründen solche Orte aufgesucht, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Seit einigen Jahren verfolge ich diese Leidenschaft jetzt intensiver.

N.S. Heute: Aus welchen Gründen besuchst Du verlassene Gebäude und Orte?

Sebastian: Die Gründe für mich, heute Lost Places zu besuchen, sind verschieden. Unter anderem sind es natürlich geniale Foto-Objekte. Man kann schon deswegen Stunden in Gebäuden verbringen, um das richtige Foto zu machen und immer neue Motive zu finden. Die eigentliche Geschichte der Häuser, Bunker, Gebäude oder Grundstücke ist für mich aber der Hauptgrund. Sich im Vorfeld mit der Historie zu befassen, ist spannend. Bei Gebäuden, die von Persönlichkeiten der deutschen Geschichte bewohnt wurden, ist das Ganze nochmal spannender. Aber es ist auch weiterhin der Nervenkitzel und auch der Reiz, in solchen Arealen und Gebäuden nicht erwischt zu werden.

N.S. Heute: Oft sind es zum Beispiel verlassene Psychiatrien und Krankenhäuser, die von Lost Place-Begeisterten aufgesucht werden. Haben Dich einige Orte schon gewissermaßen gegruselt? Ich stelle mir gerade so einen alten Schlachthof vor, in dem Fleischerhaken von der Decke hängen… sowas hat doch sicher auch immer einen gewissen Reiz, oder?

Altes Chemiewerk bei Berlin

Sebastian: Auf jeden Fall, gerade bei ehemaligen Nervenheilanstalten oder auch Häusern, wo Morde oder Verbrechen anderer Art geschehen sind und man im Vorfeld lange recherchiert hat. Dann hat man, wenn man erfolgreich das Gebäude betritt, schon eine gewisse Anspannung.

N.S. Heute: Damit hast Du auch bereits unsere nächste Frage angeschnitten, denn wer Lost Places mag, ist oftmals auch ein Fan des sogenannten „Dark Tourism“ oder „Katastrophentourismus“, bei dem gezielt Orte aufgesucht werden, die mit Mord- und Unglücksfällen verbunden werden, beispielsweise die Gegend rund um das Atomkraftwerk in Tschernobyl, Schauplätze terroristischer Anschläge oder ehemalige Wohnhäuser, in denen sich Familientragödien abgespielt haben. Hast Du auch solche Orte bereits aufgesucht?

Sebastian: Es gab zwei Gebäude, in dem mir klar war, was geschehen ist. Es ging einmal um ein Gebäude, in dem ein „Mensch“ mehrere Frauen vergewaltigt hatte, zum anderen um eine Villa, in der ein Vater seine gesamte Familie getötet hatte. In letzterer gab es noch verschiedene Familienfotos, das war schon grenzwertig. Man muss natürlich dazu sagen, dass jeder Bunker, jede Stellung, jedes Haus, das ich besucht habe und das durch unsere Soldaten, speziell im Jahr 1945, verteidigt wurde, persönliche Schicksale erzählt, da hier Menschen für ihr Vaterland gekämpft haben, teils unter schwierigsten Bedingungen. Dies lässt einen immer wieder voller Ehrfurcht auf diese Zeit zurückblicken.

Tschernobyl steht tatsächlich auf meiner Liste. Letztes Jahr, als ich in Kiew war, habe ich es aber leider nicht geschafft, dort hinzufahren. Zudem gefallen mir diese geführten Touren nicht, ich muss mal schauen, wann ich das Projekt angehe. Nach dem Anschlag im März 2016 in Brüssel habe ich mir, sofern es möglich war, den Ort angeguckt. Leider wird es wohl in den nächsten Jahren automatisch dazu kommen, dass wir in Europa und unserer Heimat „Katastrophentourismus“ live erleben werden.

N.S. Heute: Bist Du bei Deinen Abenteuern eher tagsüber oder nachts unterwegs?

Sebastian: Das ist komplett unterschiedlich und liegt an verschiedenen Faktoren. Das unterscheidet sich, ob es einen Objektschutz gibt und wann dieser unterwegs ist. Gibt es Kameras am Objekt, und wenn ja, was für welche. Ist das Objekt zentral gelegen, liegt es abseits oder an einer Hauptstraße. Kann ich eine Taschenlampe nutzen, ja oder nein. Aber es liegt auch daran, ob ich mich persönlich „gruseln“ will oder eben nicht. In einer Psychiatrie hat es nachts natürlich seinen eigenen Reiz. Bei normal begehbaren Orten würde ich aus Sicherheitsgründen empfehlen, diese tagsüber aufzusuchen, das kann Verletzungen oder Unfällen vorbeugen.

N.S. Heute: Machst Du Deine Touren allein oder zusammen mit anderen Lost Placern? Was würdest Du anderen empfehlen, sollen sie lieber auf eigene Faust losziehen oder in der Gruppe?

Sebastian: Allgemein würde ich sagen, geht niemals allein in solche Gebäude! Die Chance, dass irgendwas zusammenbricht, einstürzt oder dass Ihr Euch auf andere Weise verletzt, ist nicht gering, eine weitere Person kann Euch unter Umständen das Leben retten. Bei mir ist es ab und an aber anders. Wenn ich in Ruhe fotografieren will oder Videos machen möchte, gehe ich auch mal allein. Jedoch gucke ich dann, dass es nicht unbedingt Orte sind, an denen ich keinen Handyempfang habe, um notfalls Hilfe zu rufen, oder ich schaue, dass ich nicht die eingefallensten Gebäude nutze. Ich selbst, auch wenn es bezüglich Überwachung nicht unbedingt gut ist, gebe immer jemandem meinen GPS-Zugriff und melde mich bei der Person in abgesprochenen Abständen. Ähnlich mache ich es bei meinen Wanderungen, wenn ich alleine unterwegs bin. Sicherheit und Absicherung geht auf jeden Fall immer vor.

N.S. Heute: Du hast es angesprochen, verlassene Orte können auch gefährlich sein, vor allem verfallene Gebäude mit Einsturzgefahr oder Ähnlichem. Was sollte man zur Sicherheit immer an Ausrüstung dabeihaben?

Sebastian: Bei der vorherigen Frage habe ich ja bereits erwähnt, dass ich immer empfehlen würde, nicht alleine zu gehen und/oder mit einer anderen Person Kontakt zu halten. Ich selbst habe immer Folgendes dabei: Erste-Hilfe-Paket (ausreichend und inklusive Tourniquet), Taschenlampe, Ersatzbatterien, Multitool, Markierungsspray (oder etwas anderes, um seinen Weg zu kennzeichnen), Luftfiltermaske, Funkgeräte (wenn mehrere Personen mitkommen), Wasser, Müsliriegel und etwas, um Wärme zu erzeugen oder zu speichern. Je nach Ort kommt noch ein vernünftiges Seil inklusive Karabinern dazu und ein Helm. Das Wichtigste für jeden Ort ist aber vernünftige Kleidung und Schuhe.

Ehemalige Villa von Dr. Joseph Goebbels bei Berlin

N.S. Heute: Wir befinden uns bei abgezäunten Orten oder verschlossenen Gebäuden sicherlich in einer rechtlichen Grauzone, wenn man diese ohne ausdrückliche Genehmigung betritt. Worauf muss man hierbei besonders achten?

Sebastian: Grauzone beschreibt es hier genau richtig. Wer ein abgezäuntes oder verschlossenes Gelände oder Gebäude betritt, begeht Hausfriedensbruch. Wer dabei noch ein Messer bei sich führt, gilt als bewaffnet. Wer dazu noch etwas aus diesem Gebäude mitnimmt, begeht dann nicht nur einen bewaffneten Hausfriedensbruch, sondern auch noch Diebstahl. Hört sich jetzt alles jedoch dramatischer an als es ist und würde bei Vorstrafen, die man sonst so hat, wahrscheinlich kaum ins Gewicht fallen – was ist schon schlimmer als Volksverhetzung? (lacht) Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt, das heißt, der Eigentümer muss Euch anzeigen. Selbst wenn Ihr erwischt werdet, ist die Chance nicht sehr hoch. Zudem findet man immer offene Stellen, da besteht dann schon weniger das Problem. Man kann natürlich auch recherchieren und findet ab und an sogar den Eigentümer und fragt ihn einfach. Immerhin machen wir hier ja nichts Kriminelles und interessieren uns nur für die Geschichte des Gebäudes, daher klappt es auch, wenn man ordentlich mit dem Besitzer spricht. Zum Thema Diebstahl ist so viel zu sagen, dass es in der Lost-Place-Szene einen Kodex gibt: Es wird nichts mitgenommen oder zerstört, andere Lost Placer wollen das Ganze auch noch sehen.

N.S. Heute: Thema Gebäudenutzung: Das Wertschätzen verlassener Orte hat ja auch einen sozialen Charakter, oder? Ich spiele hierbei auf die Tatsache an, dass es ja gar nicht erst dazu kommen muss, dass eigentlich intakte Gebäude komplett verfallen, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr genutzt werden. Jahrelang stehen sie leer und werden dann irgendwann abgerissen. Im Grunde ist so etwas doch eine Schande für ein kultiviertes Land.

Sebastian: Tatsächlich besteht hier ein riesiges Problem. Zum einen werden historische Gebäude, gerade wenn sie außerhalb von Städten sind, oft sich selbst überlassen, wenn kein privater Investor Interesse hat. Ähnlich ist es bei anderen Objekten wie alten Freizeitparks, Krankenhäusern, Schwimmbädern und so weiter. In Städten wie Berlin gibt es dutzende Beispiele, die man aufzählen könnte. Hier wird einfach nichts gegen den Verfall getan, kein Geld investiert, um etwas wiederherzurichten und neu zu nutzen, eventuell auch mit neuem Zweck. Wie bei so vielem im Kapitalismus, entsteht auch bei Gebäuden eine Wegwerfgesellschaft. Bei historischen Gebäuden aus den Jahren 1933-1945, aber auch davor, wird dies dazu noch wissentlich gemacht, um jegliche Identität und jegliches Bewusstsein zu zerstören. In und um Berlin gibt es da viele Beispiele.

N.S. Heute: Als umsichtiger Mensch möchte man anderen Lost Placern natürlich nicht die Besuche an den verlassenen Orten vermiesen, beispielsweise, indem Veränderungen oder Schmierereien an dem Ort angebracht werden. Wie sollte man sich in einer verlassenen Location als heimlicher Besucher verhalten?

Sebastian: Wie ich schon erwähnt habe, gibt es hier einen Kodex, den man befolgen sollte. Das Wichtigste zum Anfang: Jedes Gebäude hat eine Geschichte und eine Seele, und sollte deshalb unseren Respekt haben. Dazu gehört vor allem, dass man, um hineinzukommen, nichts zerstört, was zum eigentlichen Gebäude gehört. Den Kopf einzuschalten, wenn man ein Gebäude betritt, ist nicht nur aus Sicherheitsgründen zu beachten. Der nächste Punkt ist: Alles bleibt, wie es vorgefunden wird. Es wird nichts mitgenommen, egal wie interessant es ist, es wird nichts beschädigt oder zerstört. Hinterlasst keinen Müll, keine Speisereste oder Sonstiges. Des Weiteren sollte jegliche Art von Feuer Tabu sein, also zum Beispiel auch keine Zigaretten. Ein altes Gebäude kann schnell Feuer fangen und schon ist die Geschichte dieses Ortes in Schutt und Asche. Zudem sollten gerade wir als Schützer unserer Heimat auch den Schutz von Tieren vor Ort beachten. Gerade in Brutzeiten von Vögeln oder anderen Tieren sollte man Gebäude in Naturschutzgebieten nicht betreten.  Das war es im Groben und Ganzen, kurz und bündig kann man es auf einen Satz zusammenfassen: Hinterlasse nichts außer Deinen Fußabdruck!

N.S. Heute: Möchtest Du unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben, ein paar Ratschläge für den Fall, dass sie selbst einmal Erfahrungen in alten Gemäuern sammeln möchten? Wir sagen an dieser Stelle schonmal danke und bis bald auf der Straße oder bei der nächsten Veranstaltung!

Sebastian: Beachtet vor allem die Hinweise der letzten Frage und die Sicherheitshinweise. Nichts ist schlimmer, als wenn Ihr einen Lost Place verunstaltet oder wenn Euch was passieren sollte, Euch dann niemand findet und Ihr Euch nicht einmal selbst helfen könnt. Geht nicht nur in irgendwelche Gebäude, sondert informiert Euch über dessen Geschichte und Nutzung. Oft gibt es interessante Geschehnisse, ehemalige Besitzer oder Verwendungszwecke. Ihr lernt damit auch viel über unsere Geschichte. Ansonsten könnt Ihr mich bei Fragen auch gerne anschreiben und mir verlassene Orte nennen: info@tdnb.de.

Besucht alte Gebäude, auch sie sind Zeitzeugen einer anderen und oft besseren Zeit. Das Befassen mit unserer Geschichte ist natürlich wichtig, aber das Wichtigste ist die Zukunft unserer Heimat. Daher werden wir uns natürlich bei Aktionen, Veranstaltungen oder sonstigen Aktivitäten sehen. Ich habe zu danken. Beste Grüße an alle Leser!

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #18

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