Vor 45 Jahren: Die Saalschlacht von Lentföhrden

Die im Dezember 1983 verbotene AKTIONSFRONT NATIONALER SOZIALISTEN (ANS) war in den acht Monaten zwischen ihrer Gründung im November 1977 und dem Juni 1978 hyperaktiv. Es verging kein Wochenende, wo wir nicht auf den Hamburger Straßen präsent waren – meist mit den etwa anderthalb Dutzend Aktivisten aus Hamburg und der näheren Umgebung, manchmal auch mit auswärtiger Unterstützung aus Kiel, aus Hannover, aus Peine und Braunschweig.

Eine der bedeutsamsten dieser Aktionen war die „Eselsaktion“ im Mai 1978, als wir mit weniger als einem Dutzend Aktivsten mit Eselsmasken und den Holocaust leugnenden Plakaten durch die Innenstadt zogen. Wir kamen aber nicht sonderlich weit. Vor unserer damaligen Stammkneipe im Stadtteil St. Georg, dem „Egerländer“, startend, wurden wir bereits im Hauptbahnhof von der Polizei einkassiert und für den Rest des Wochenendes in „Unterbindungsgewahrsam“ genommen, um weitere Aktionen zu verhindern.

Ein älterer Vollzugsbeamter brachte uns im Untersuchungsgefängnis zu unseren Zellen, und als er die erste aufschloss, sagte er zu uns: „Jungs, das war gut, aber ihr müsst noch viel, viel mehr werden!“

Diesen guten Rat eines Mannes, der wohl als junger Erwachsener noch den letzten Krieg miterlebt hat, haben wir beherzigt; wir wurden mehr!

Die „Eselsmasken-Aktion“ am 20. Mai 1978 machte die „Kühnen-Truppe“ auf einen Schlag deutschlandweit bekannt; in der Mitte mit Lederjacke Michael Kühnen, rechts daneben Christian Worch / Bildquelle: Archiv Thomas Brehl

Es war damals Standard, dass wir bei öffentlichen Auftritten kurz nach deren Beginn von der Polizei festgenommen wurden. Persönlich störte uns das nicht. Im Gegenteil; es gab unter Aktivisten fast eine Art interne Konkurrenz, wer die meisten Festnahmen verbuchen konnte. Zusammen mit Michael Kühnen führte ich die Liste an: Wir wurden an einem Wochenende, von Freitagabend bis Sonntagmittag, nicht weniger als dreimal festgenommen. (Heute muss man Klima-Kleber sein, um das zu erreichen. Allerdings wurden wir im Gegensatz zu den heutigen Klima-Klebern für unsere Aktivitäten nicht bezahlt, sondern haben die damit verbundenen Nebenkosten aus eigenem eher schmalen Portemonnaie bezahlt…)

Michael Kühnen, stets auf der Suche nach einer neuen medienwirksamen Provokation, kam im Frühsommer auf folgenden Gedanken:

Es gab (und gibt) in Hamburg eine öffentliche Gedenkstätte für Ernst Thälmann. Thälmann war Führer der KOMMUNISTISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (KPD), die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verboten wurde, Thälmann selbst landete im Konzentrationslager, wo er starb; ob nun ermordet, wie die meisten sagen, oder durch einen britischen Bombenangriff gestorben, sei dahingestellt. – Nach Kriegsende und der deutschen Niederlage wurde in der BRD die KP neu gegründet, war aber nicht von langer Dauer. Im Jahre 1956 stellte das Bundesverfassungsgericht deren „Verfassungswidrigkeit“ fest, mit der gesetzlich vorgeschriebenen Folge von Auflösung und Verbot. Thälmann war damit vormaliger Vorsitzender einer nach BRD-Recht verbotenen Partei.

Nichts anderes war Adolf Hitler gewesen.

Wenn eine öffentliche Gedenkstätte für Ernst Thälmann legal war, dann musste, diesem Gedanken folgend, nach damaligem Rechtsstand auch eine für Adolf Hitler legal sein.

Also plante er die Enthüllung einer Gedenktafel für Adolf Hitler, die zu gegebener Zeit an einem geeigneten öffentlichen Ort (wie im Falle Thälmann in Privatbesitz) angebracht werden sollte.

Wir sprachen über das Projekt auf der Straße vor unserer Stammkneipe, weil wir davon ausgingen, dass das Lokal „verwanzt“ war. Für weniger konspirative Gelegenheiten nutzten wir die Toilette, weil solche Lokalitäten eher selten „verwanzt“ sind, aber in diesem Fall verließen wir uns auf gar nichts, also war die Straße der bessere Ort…

Ich sagte Kühnen: „Die Bullen werden das in jedem Fall verhindern!“

Er war davon nicht überzeugt.

Ich hakte nach: „Aber wenn sie versuchen, es zu verhindern? Was dann?! Darf dann Widerstand geleistet werden?!“

Das war ein ungewohnter und im Grunde genommen auch unbequemer Gedanke. Michael Kühnen dachte ungefähr drei Sekunden nach, dann sagte er: Ja!

Das hatte ich hören wollen!

Die ständigen Eingriffe der Polizei fand ich lästig; ich war der Meinung, es müsse mal etwas dagegen unternommen werden. Allerdings sollte es eine besondere Situation sein; Krawall um des Krawalls willen hätte vielleicht einigen unserer damaligen Kameraden gefallen, wäre aber nicht politisch gewesen. Dies erschien mir eine passende Gelegenheit.

Am Abend vor der Aktion verließ ich Hamburg. Aufgrund der Erfahrung nach der „Eselsaktion“ hielt ich es für möglich, dass zentrale Aktivisten vorsorglich von der Polizei in Gewahrsam (Unterbindungsgewahrsam) genommen werden könnten. Als Quartier suchte ich mir die Wohnung eines persönlichen Freundes von mir aus, der Anarchist war. Bei einem Kameraden zu übernachten, erschien mir potentiell zu gefährlich.

Mein Gastgeber sagte mir kurz danach sinngemäß: Wenn ich geahnt hätte, warum Du Dich bei mir einquartiert hast, hätte ich es nicht zugelassen, tu das nie wieder! – Und wenige Jahre später, als ich ihm in einem Streit mit der Steuerbehörde half, sagte er mir anschließend: „Was ich Dir nach dieser Lentföhrden-Aktion gesagt habe, vergiss es; wenn sowas nochmal ansteht oder wenn Du aus anderen Gründen untertauchen willst, bist Du bei mir stets willkommen!“

Das war, sozusagen, eine Art von Querfront, lange, bevor dieser Begriff politisch relevant wurde…

Christian Worch im Oktober 1977 am Münchener Conventsbach bei einer Gedenkveranstaltung für die Hingerichteten des Nürnberger Siegertribunals / Bildquelle: Archiv Thomas Brehl

Den Vormittag des Einsatztages verbrachte ich in Kaltenkirchen auf einer Parkbank und las einen historischen Roman von Mika Waltari, wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob es „Sinuhe der Ägypter“ war oder „Turms der Unsterbliche“ (vermutlich letzterer.)

Dann fuhr ich mit dem öffentlichen Nahverkehr nach Hamburg zurück, zu unserem Treffpunkt.

Lentföhrden ist ein Straßendorf, langgezogen; damals gab es am Ortseingang wie am Ortsausgang jeweils eine Telefonzelle. Ich stellte zwei Kameraden ab, diese Zellen zu besetzen; sie bekamen eine Handvoll Kleingeld in die Hand gedrückt. Und vom Wirt des „Tannenhofes“ ließ ich mir seine Telefonnummer geben, die die Vorposten bekamen. Nach heutigen militärischen Vorstellungen ein eher primitives System; aber mir reichte eine Vorwarnzeit von wenigen Minuten.

Dann inspizierte ich die Örtlichkeit.

Durch den Eingang kam man in einen Schankraum, und von dort ging es in den Saal. Sowohl der Schankraum als auch der Saal hatten die gleiche Toilettenanlage. Damit eine Saalveranstaltung nicht gestört wurde, wenn Gäste aus dem Schankraum auf die Toilette wollten, war eine „Spanische Wand“ aufgebaut. Diese erwies sich später als sehr hilfreich.

Ich stellte einen Tisch an die Schmalseite, der den Zugang zusätzlich verengte, und dann stellte ich eine Kiste leere Bierflaschen dahinter, falls Wurfgeschosse benötigt wurden. – Später sagten mir mehrere Kameraden: Das sei eine gute Idee gewesen; aber besser noch wäre gewesen, wenn ich DREI Kisten leere Bierflaschen dorthin gestellt hätte…

Außerdem kassierte ich alle Besen ein, die zu finden waren. Der Wirt lieh mir auf meine Bitte hin einen Fuchsschwanz, und ich sägte die Besenstiele in der Mitte durch, um handliche Knüppel zu bekommen.

Inzwischen trudelten die Versammlungsteilnehmer ein. Es waren nicht die üblichen zwei bis drei Dutzend Mann, die wir sonst mobilisieren konnten, sondern deutlich mehr: Um die hundert. Die Hälfte davon waren junge Aktivisten, so gut wie ausschließlich männlich, und die andere Hälfte waren ältere Herrschaften, damals noch viele darunter, die den Krieg als Erwachsene miterlebt hatten.

Es kamen auch Pressevertreter, und die wurden am Eingang anhand einer Liste überprüft. Denn Michael Kühnen hatte entschieden, dass die Teilnahme für Journalisten bei dieser besonderen Veranstaltung nicht kostenlos war. Von ihnen war eine im Voraus zu entrichtende „Hetzgebühr“ verlangt worden, in Höhe von 200 D-Mark. Es war dabei nicht um das relativ wenige Geld gegangen, das so in die Kasse geflossen war und zur Finanzierung der Aktion gedient hatte. Wichtiger war Kühnen gewesen, auf diese Weise ein wenig Unfrieden zwischen den Pressevertretern zu stiften. Denn die, die gezahlt hatten, sahen sich hinterher genötigt, das ihren Kollegen gegenüber zu rechtfertigen, während andere, die sich geweigert hatten, sich zwar empören konnten, aber dann eben keine Bilder und keine Berichte aus erster Hand hatten…

Es war klar, dass dem Pressetross auch die Polizei folgen würde. Auch wenn Edgar Geiß, der den Kontaktmann zu den Medienvertretern gemacht hatte, versucht hatte, diese mit ein paar waghalsigen Fahrmanövern – mit 140 über rote Ampeln! – abzuhängen, war das wohl unvermeidlich gewesen.

Während im Saal die Veranstaltung eröffnet wurde, kam der Wirt zur Zwischentür und unterrichtete mich, dass er einen Anruf bekommen hätte. Ich gab die Nachricht an die Ordner weiter und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Ich brauchte nicht lange zu warten. Nur ungefähr drei Minuten später ging die Tür wieder auf, und diesmal war es weder der Wirt noch irgendwelche Nachzügler, sondern es waren zwei oder drei Kriminalpolizisten, hinter denen eine Handvoll Uniformierter zu erkennen war.

Ich trat ihnen entgegen.

„Der Landrat des Kreises Segeberg hat diese Veranstaltung verboten; treten Sie zur Seite!“, sagte der Wortführer.

„Dann weisen Sie mir mal die Verfügung vor“, verlangte ich.

Er hatte keine dabei; er wiederholte nur, es gäbe eine. Das reichte mir nicht. Ich erhob die Stimme, damit es auch die Ordner hinter mir klar verstehen konnten, und sagte:

„Dann verweise ich Sie namens des Versammlungsleiters dieser geschlossenen Gesellschaft des Saales!“

Seine Erwiderung war: „Die Schutzpolizei, bitte!“

Der erste uniformierte Polizist, der auf mich zukam, war überlebensgroß. Er mag so um die zwei Meter gemessen haben. Heute, fast ein halbes Jahrhundert später, ist die Zahl der Zwei- Meter-Männer deutlich größer als damals: Die Menschen in Deutschland sind inzwischen im Durchschnitt zehn Zentimeter größer. Auch war der gute Mann recht kräftig gebaut. Er dachte wohl, es sei kein Kunststück, mich wegzudrängen: Ich war damals schließlich ein eher schmal gebauter Jüngling von nicht mehr als 70 Kilo, während er so etwa zwei Zentner gewogen haben mag, und zwar nicht Fett, sondern eher Muskelmasse. Zu seinem Erstaunen allerdings war es ihm nicht möglich, mich wegzuschieben. Rohe Kraft allein hilft nicht so viel, wenn das polizeiliche Gegenüber wie in diesem Fall ein Judoka ist, der Hara, seine Mitte, hat, und der weiß, wie er sein deutlich geringeres Gewicht gegen eine überlegene Kraft einzusetzen hat.

Und dann pfiff etwas so dicht an meinem rechten Ohr vorbei, dass ich den Luftzug spüren konnte: Eine geworfene Flasche, die dank der Zielgenauigkeit eines Kameraden mich knapp verfehlt hatte, aber ein anderes Ziel sehr wohl getroffen hatte.

Der SPIEGEL schrieb später in einem Bericht: „Erst schlugen sie dem Einsatzleiter ein Stuhlbein über den Kopf, dann seine Kollegen in die Flucht.“ Das mit dem Stuhlbein ist frei erfunden; es war einer der von mir mit Hilfe einer Säge halbierten Besenstiele. Aber das mit in die Flucht schlagen entsprach den Tatsachen.

Der erste Angriff brach schneller zusammen, als er vorgetragen werden konnte. Nun ja, es waren ja nur eine kleine Handvoll Zivilpolizisten und gerade mal ein halbes Dutzend Uniformierte gewesen…

Inzwischen hatte Michael Kühnen nicht nur die Versammlung eröffnet, sondern auch die Zuhörer – also hauptsächlich die älteren Leute – darüber informiert: „Bitte lassen Sie sich nicht irritieren, wenn es am Eingang ein wenig laut werden sollte; unsere Ordnertruppe wird das Problem bald im Griff haben.“

Womit er recht hatte: Die Jungs hatten das Problem sowas von im Griff!

Trotzdem gab es bei dem knapp eine halbe Stunde später vorgetragenen zweiten Angriff zumindest eine ältere Teilnehmerin, die sich aktiv an den Abwehrmaßnahmen beteiligte. Hinter der Spanischen Wand sitzend und ohne aufzustehen, warf sie ihr komplettes Kaffee-Service über eben diese Wand: Kaffeekanne, Tasse, Untertasse, Zuckerdose, Sahnekännchen und schließlich noch den Löffel… Später sprach ein junger Kamerad ihr seinen Respekt aus: „Gnädige Frau, dass eine Dame in Ihrem Alter sich noch an einer Saalschlacht gegen die Polizei beteiligt…“

Die damals deutlich über 70 Jahre alte Frau hatte in den späten 20ern und frühen 30ern in Berlin so manche Saalschlacht miterlebt; und als damals schon examinierte Krankenschwester hatte sie auch so manchen dabei verletzten SA-Mann verarztet. In aller Seelenruhe sagte sie: „Junger Mann, ich hatte ja keine Ahnung, dass das hinter dieser Wand die Polizei war; ich dachte, die Kommune stürmt den Saal!“

Nachdem auch dieser zweite Angriff gescheitert war, hielt Michael Kühnen weiterhin völlig unbeeindruckt seine Rede, vor der halben Hundertschaft alter Kameradinnen und Kameraden, während die andere Hälfte der Teilnehmer sich auf den nächsten Vorstoß der Polizei vorbereitete.

Auch dieser stand unter keinem für die Gegenseite guten Stern. Der SPIEGEL berichtete darüber: „Zäh wie Leder hielten die rechten Rocker ihr Lokal!“

Nur ein einzelner, besonders großer und starker Polizist, schaffte es, die Spanische Wand zu durchbrechen und in den Saal vorzudringen. Wie ein Rudel Wölfe um einen Bären herum, waren vier, fünf, sechs Mann an ihm dran und prügelten von allen Seiten auf ihn ein, und da er nicht mal einen Schutzhelm hatte, blutete er aus einer Vielzahl von Wunden. Trotzdem schaffte er es mit einer heroischen Anstrengung – gleich einem Recken aus altdeutscher Zeit! –, bis zum Rednerpult vorzudringen, hinter dem Michael Kühnen stand. Diesem sagte er: „Auf Anweisung des Landrats ist dies Veranstaltung verboten; ich fordere Sie auf, sie zu beenden.“

Dann drehte er sich um, in der Erwartung, hinter sich seine Kollegen zu sehen. Da war aber keiner von ihnen; da waren nur ein halbes Dutzend Ordner mit wölfischem Grinsen und Knüppeln in den Händen. Woraufhin der Mann sich wieder Michael Kühnen zuwandte und sagte: „Außerdem bitte ich um freien Abzug.“

Kühnen, gewesener Offizier, vermochte der Tapferkeit dieses Mannes und dem militärisch korrekten Begehren nach freiem Abzug nicht den Respekt zu verweigern. Er kommandierte: „Freien Abzug für diesen Polizeioffizier!“ – Wir wussten nicht und haben nie in Erfahrung gebracht, ob der Mann als Kommissar oder so einen Offiziersrang hatte; falls nein, so war er von Michael Kühnen einfach nach alter Wehrmachtstradition zum Tapferkeitsoffizier ernannt worden.

Außerdem erklärte Michael Kühnen die Versammlung für beendet. Womit natürlich auch die Widerstandsaktionen eingestellt wurden. Die Polizei, ein wenig zögerlich, beinahe angstvoll, drang in den Saal vor; sie waren inzwischen so um die hundert Mann. Etwas wahllos nahmen sie rund zwanzig jüngere Kameraden fest und verschwanden dann. Die Gedenktafel suchten sie zwar kurz, vermochten sie aber nicht zu finden. Vorausschauend hatten die halbwüchsigen Söhne unseres Wirtes sie in Sicherheit gebracht und in einem angrenzenden Schweinestall versteckt. Das mochte ein etwas unwürdiger Ort für eine Gedenktafel sein; aber auf jeden Fall war es ein sicherer Ort. Die etwas desorganisiert wirkende Polizei kam nicht auf den Gedanken, dort danach zu suchen.

Nur ungefähr drei Tage später kamen sie nochmal in den „Tannenhof“, weil ihnen inzwischen aufgefallen war, dass sie kein „corpus delicti“ hatten, und rissen das Parkett des Versammlungssaales auf, wobei sie einen Sachschaden von etwa dreitausend D-Mark anrichteten, aber keine Gedenktafel fanden…

Zu meinen persönlichen Erinnerungen zählt noch, wie ich in der Polizeiwache Neumünster zur Abnahme von Fingerabdrücken gebracht wurde; wir benutzten den Lift. Meine Hände waren mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, und ich hatte zwei Polizisten als Wächter. Unterwegs hielt der Lift an, und ein weiterer Polizist stieg zu. Er starrte mich wütend an und sagte: „Ich habe gerade den Kollegen gesehen, der keinen einzigen Vorderzahn mehr im Mund hat; die Jungs hier sehen alle noch viel zu frisch aus!“

Ich sagte zu ihm: „Ändern Sie das, wenn Sie mögen. Aber ich gebe Ihnen einen Rat: Schlagen sie mich dann lieber gleich tot. Wenn nicht, dann komme ich nämlich zurück und bringe Sie oder einen Ihrer Kollegen um!“

Sein Blick verriet Mord; aber er hob nicht die Hand gegen mich.

Wir alle wurden noch am gleichen Abend aus dem Polizeigewahrsam entlassen, ausgenommen Michael Kühnen. Gegen den gab es einen Haftbefehl. Dieser hielt gerade mal zwei Wochen, bis Rechtsanwalt Jürgen Rieger Haftbeschwerde eingelegt hatte. Es gab gegen Kühnen keinen Haftgrund. Er war an den Widerstandshandlungen nicht beteiligt gewesen, und als ihm nach einer Stunde endlich mal ein Polizist die angebliche Verbotsverfügung verkünden konnte, hatte er die Veranstaltung für aufgelöst erklärt.

Michael Kühnen (hier auf einer Gedenk-Postkarte) galt vielen Nationalisten der 70er- und 80er-Jahre als Führungsfigur, an seiner Schrift „Nationalsozialismus und Homosexualität“ endzündete sich allerdings auch die große Spaltung des Nationalen Widerstandes im Jahr 1986; Kühnen starb 1991 mit nur 35 Jahren an AIDS / Bildquelle: Archiv Thomas Brehl

Tatsächlich gab es meines Wissens überhaupt keine strafrechtliche Aufarbeitung, obwohl zumindest ein Kamera-Team Aufnahmen hatte, auf denen zu sehen war, wie Kameraden von uns auf Polizisten eingeprügelt hatten. Der damals sehr bekannte Aktivist Tibor Schwarz hatte das bemerkt und machte Anstalten, den Kameramann am Filmen zu hindern, weil er es nicht hilfreich fand, wenn es solche Beweismittel gab. Weiterfilmend und mit beinahe weinerlicher Stimme rief der Reporter der ARD: „Bitte, lassen Sie mich filmen, wir dürfen doch hier filmen, wir haben doch zweihundert Mark bezahlt, Sie dürfen mich nicht am Filmen hindern!“

Bezeichnend dafür, welchen Einfluss Michael Kühnen auf diese junge Garde des damaligen Nationalen Widerstandes hatte, war, dass Tibor den Mann weiter filmen ließ. Er hatte einen Vertrag mit Michael Kühnen gemacht. Der Vertrag erlaubte ihm zu filmen. Also durfte er filmen… Das Wort des Führers war Befehl.

Warum es keine strafrechtliche Verfolgung gab, konnten wir später im SPIEGEL lesen. Die Behauptung, der Landrat des Kreises Segeberg habe die Veranstaltung verboten, war, wie ich schon vermutet hatte, eine Lüge gewesen. Die eintreffende Polizei hatte einen Staatsanwalt namens Geert Morf bei sich gehabt, der wegen der Befürchtung von strafbaren Äußerungen die Auflösung der Veranstaltung gefordert hatte. Allerdings war der Staatsanwalt nicht zuständig. Es war, wie ich dem Kriminalpolizisten gesagt hatte, eine geschlossene Gesellschaft. Diese sind nach dem Versammlungsrecht „polizeifest“. Der ganze Polizeieinsatz war damit rechtswidrig gewesen. Und das wollten die Behörden natürlich nicht gern vor Gericht festgestellt haben.

Es gab nur ein Zivilverfahren gegen den Kameraden Udo Budig. Dieser wurde zu dreitausend D-Mark Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt, weil es wohl sein Flaschenwurf gewesen war, der einem Polizisten alle Vorderzähne aus dem Mund geschlagen hatte. (Und der, wenn Udo weniger gut gezielt hätte, mir eine heftige Platzwunde am Hinterkopf beschert hätte.) Eine Zahlung erfolgte allerdings trotzdem nicht. Relativ kurz nach Rechtskraft des Urteils verunglückte Udo Budig mit dem Motorrad tödlich und starb am gleichen Tag wie Leonid Breschnew, am 19. November 1982.

Erheiternd für uns waren auch Diskussionen in der linken Szene. Der ARBEITERKAMPF des KOMMINISTISCHEN BUNDES (KB oder auch KB-Nord) brachte einen Artikel, in dem es sinngemäß hieß: „In übelster SA-Manier prügelten die Nazis auf die Polizisten ein.“ In der nächsten Ausgabe erschien ein Leserbrief, der berichtigte: „Wenn Nazis auf Bullen einprügeln, ist das ein revolutionärer Akt. Auch wenn er von der falschen Seite kommt. Da kann man nicht von ‚übler SA-Manier‘ sprechen!“

Über die politischen Auswirkungen berichtete der SPIEGEL seinerseits: Der damalige Innenminister Baum (FDP) räumte ein, dass „die Neonazis“ gefährlich seien. Das stärkte natürlich das Selbstbewusstsein der damaligen Szene. Wir machten durchaus kein Dogma daraus, uns immer und überall gegen polizeiliche Übergriffe zu wehren. Und letztlich wurden diese auch nicht seltener. Aber wir wussten, dass wir konnten, wenn wir wollten und die Umstände es ermöglichten; und die Gegenseite wusste es auch. Statt nur bloße „Objekte polizeilichen Handelns“ zu sein, wie viele uns vorher gern gesehen hatten, bewegten wir uns jetzt auf Augenhöhe.

Deutlich wurde das für mich persönlich einmal viele, viele Jahre später, bei einem Kooperationsgespräch mit der Behörde wegen einer Demonstration in Merseburg (Sachsen-Anhalt). Die Versammlungsbehörde – dort nicht die Polizei, sondern der Landkreis – wollte einschränkende Auflagen wegen der angeblichen Gefährdung durch mögliche türkische Gegendemonstranten „mit Kampfsportausbildung“ durchsetzen. Ich sagte leichthin: „Wenn ich

im Laufe meines Lebens nur einen Bruchteil dessen, wozu ich ausgebildet worden bin, angewandt hätte, wäre ich jetzt tot oder würde für den Rest meines Lebens im Gefängnis sitzen.“ Der Vertreter des Landkreises, der Behördenjurist war, verstand das absolut nicht, aber ein rangalter Polizeioffizier sagte trocken: „Danke, Herr Worch, wir haben verstanden, was Sie meinen!“

Nach Lentföhrden hatte die Polizei es eben verstanden. Schade, dass dazu Zähne ausgeschlagen und Köpfe eingedellt werden mussten; aber daran waren wir sogar im juristischen Sinne unschuldig!

Christian Worch, Jahrgang 1956, gelernter Notarfachangestellter, ist seit über 40 Jahren im Nationalen Widerstand aktiv. Seine politischen Stationen waren u.a.: Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und Nationale Liste (NL). Mitte der 90er-Jahre war er einer der Hauptinitiatoren der „Freien Nationalisten“. Aktuell ist Worch Bundesvorsitzender der Partei DIE RECHTE.

Erstveröffentlichung in N.S. Heute #36

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2 Gedanken zu „Vor 45 Jahren: Die Saalschlacht von Lentföhrden“

  1. Die Kommunisten von damals standen den SA-Männern mental wohl sehr viel näher. Es waren alles unsere deutschen Jungs. Tragik der Geschichte, dass sie damals gegeneinander standen. Ihr Feind war der gleiche. Aber die Herrscher wussten zu allen Zeiten zu spalten und zu herrschen… Daran hat sich nichts geändert.

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